Erinnerungen
Fliegen im Schuhgeschäft
Als Kind hielt ich mir in einem Terrarium eine Ringelnatter, die ich
im Fenn fing. Vor den Sommerferien erklärte ich meiner Mutter, dass
die Natter jede Woche einen Frosch als Futter erhalten soll. Ich
legte einen entsprechenden Vorrat an, sie wurden in einem eigenen
Behälter untergebracht.
"Und wovon sollen die Frösche leben?" fragte mich meine Mutter,
- "Na, von Fliegen natürlich!"
"Und wo bekomme ich die Fliegen her?" - "Die Brummer fängt
man am besten hinter großen Fensterscheiben, im Flur zum Beispiel."
"Und wo tue ich sie hinein?" - "Ich bau dir einen Fliegenkäfig."
Ich höhlte einen Korken so aus, dass die enstehende öffnung mit Stecknadeln
vergittert wurde, eine Stecknadel wählte ich mit einem großen Kopf,
so dass man sie leicht herausziehen konnte, das war die Tür zum Gefängnis,
indem mindestens fünf Fliegen Platz hatten. Es war ein fliegenarmes Jahr.
Alle Bekannten meiner Mutter wurden eingespannt, Fliegen zu fangen, selbst im
Büro die Mitarbeiter. Nach meiner Wiederkehr hörte ich folgende Geschichte
von meiner Mutter:
Sie ging nach dem Büro ins Schuhgeschäft, um neue Schuhe zu kaufen (no-na!)
und an Ihrer Tasche hing ein Nylonsäckchen mit den Fliegen, die sie mit Hilfe
ihrer Kollegen im Büro gefangen hatte, - offenbar traute sie dem Fliegenkäfig
nicht, oder sie konnte nicht mit ihm umgehen. Die Insassen surrten und brummten
herum, das erregte die Aufmerksamkeit eines neben ihr sitzenden Herrn. Was haben
Sie denn da?, fragte er. "Fliegen" sagte meine Mutter, als ob es ganz
selbstverständlich wäre, mit Fliegen an der Handtasche herumzuspazieren.
"Aha."
Als sie aufblickte beugte sich der Herr,
nachdem er zuvor ein bißchen zur Seite gerückt war, wieder zu ihr:
"Was machen Sie mit den Fliegen?" "Die sind für meine Frösche"
antwortete sie und wandte sich wieder den Schuhen zu. Als sie wieder aufschaute,
saß der Mann einen Platz von ihr entfernt, er hielt sie wohl für nicht
ganz richtig. Doch die Neugier ließ ihm keine Ruh, wieder fragte er: "Und
wofür haben sie Frösche?"
"Für meine Schlangen" antwortete meine Mutter. Als sie dann aufstand,
war der Mann verschwunden."
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Vergessengeratenes Kinderspielzeug:
Ein Metalldampfer, der durch eine Kerze angetrieben wurde.
Das in einem Wasserrohr tanzende Flaschenteufelchen.
Die mit Wasser gefüllte Rakete zum Aufblasen.
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Sokrates
Einer der spannenden Trips ist wohl der übergang vom Diesseits ins
Jenseits. Es dürfte eines der großartigsten Erlebnisse sein. Eine
Berlinerin wollte aus dem Leben scheiden. Sie fuhr zur Krummen Lanke,
einem See, nahm Schlaftabletten und ging schwimmen. Sie wurde
gerettet.
Diese Erfahrung mit dem Tod war so stark für sie, dass sie es wieder
und wieder haben wollte. Sie ging ins Wasser. Siebenmal wurde sie ins
Leben zurückgeholt. Beim achtenmal wollte sie es wohl ganz genau
wissen.
Auf zum nächsten Zustand!
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Uitz
Ich sitze hier in Graz in einem Beisel, ein Sterbender nicht weit von
mir. Ein einfacher, doch glücklich erscheinender Mensch. Da liegt er
nun mit seinen Krebs-Metastasen im Bett und macht Witze.
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Durch die Seele fließt kein Blut
Als kleines Kind erfährt man oft vor dem Schlafengehen die große
Angst, die Angst vor dem Tod. Es ist nicht der Akt des Sterbens, der
vielleicht schmerzhafte ungewisse übergang, nicht die Gefühls- und
Empfindungslosigkeit dieser Stille, die uns erwartet, sondern die
Unentrinnbarkeit vor dieser Ewigkeit. Das Bewußtsein, dass der Tod
kommen wird, dass es nichts dagegen zu unternehmen gibt, die
Hilflosigkeit, mit der man dieser Situation ausgeliefert ist,
zusammen mit der Vorstellung über den Zustand des Totseins, dieser
immerwährende, dauerhafte Zustand, aus dem es auch nicht für kurze
Augenblicke ein Zurück gibt, lässt einen nicht in jene erlösende
bewußtseinslose, dem Tode so ähnliche Erscheinungsform versinken,
die wir Schlaf nennen.
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Die Raketenbauerzeit
Die amerikanischen Besatzungssoldaten in Berlin hielten meist ihre
Militärübungen im Grunewald ab, oft in der Nähe der Krumme Lanke. Als
Kinder waren wir natürlich neugierig, wenn sie aus ihren MG-Nestern
wie wild auf irgendwelche virtuellen Feinde feuerten, natürlich mit
Platzpatronen, welche sie dann einfach im Wald liegen ließen, doch
wir sammelten sie ein und verkauften sie auf dem Schrottplatz, somit
wurde das Taschengeld ein wenig aufgebessert.
Hin und wieder waren auch noch volle Patronen darunter, wir
entfernten die Verschlussplättchen und erhielten auf diese Weise das
silbrige feinrieselnde Patronenpulver. Mit ein paar
Streichholzköpfchen vermischt ließ es sich leicht entzünden und es
gab immer eine riesige Stichflamme. Ziemlich brisant.
Außerdem hatten diese langen Patronen schon von vorneherein die Form
einer Rakete, die Verbin-dung vom Zündhütchen zur Pulverkammer war
nur ein kleines Loch, die ideale Düse. Durch dieses Loch wurde eine
Jetex-Zündschnur geführt, die Brisanz des Schießpulvers wurde
entschärft durch Beigabe von Holzkohle, die Spitze der Patrone wurde
mit einer Schraube verschlossen.
Wir lernten schnell, dass unsere Flugkörper unbedingt Stabilisatoren
in Form kleiner Flügel brauchten, denn sonst war der Flug so
unkontrolliert, dass die spiralförmigen, oft chaotischen Bahnen
leicht zum Ausgangspunkt zurückführen konnten, und wir uns damit
gefährdet hätten.
Die Weite der Flüge schwankte zwischen drei und zehn Metern, das war
uns natürlich viel zu wenig und so begannen wir mit Hilfe von Lexika
Schwarzpulver zu mischen, Schwefel, Kalisalpeter und Holzkohle
bekamen wir in der Drogerie.
War die Mischung gut, bekamen wir einen gleichmäßigen Schub, war sie
schlecht, wurde er ruckartig und der Flug nicht zufriedenstellend. Um
den Schub weiter zu erhöhen mischten wir zum Schwarzpulver noch das
Schießpulver aus den Patronen.
Einmal beobachtete uns ein anderer Junge bei einer Versuchserie auf
einer Wiese vor dem Wasserwerk Riemeisterfenn. Ich hatte gerade mein
Meisterstück in die Luft gejagt, über 30 Meter flog diese umgebaute
Patrone in einer wunderschönen Parabel. Er wollte auch einmal zünden.
Nun hatte ich nur noch eine Rakete, in der war mehr Schießpulver als
in der vorigen, außerdem war das Gemisch höher verdichtet, es war
eine riskante Sache, doch hatte ich dafür eine extra lange Zündschnur.
Sie sollte vom Ufer der Krumme Lanke in Richtung Mitte des Sees
abgefeuert werden.
Ich warnte den Jungen, aber nachdem er gar so bettelte, gab ich sie ihm und wir
entfernten uns vom Ufer, um das Schauspiel von der Entfernung zu beobachten. Aber
anstatt sich eine provisorische Abschußrampe zu bauen, zündete er die
Rakete in seiner Hand, die Länge der Zündschnur hätte noch ausgereicht,
um sie noch irgendwo zu plazieren, doch er machte keine Anstalten in dieser Richtung.
Sie explodierte und Blut floss aus seiner linken Hand, ein Splitter hatte sie
erwischt. "Massl gehabt", würde man in Wien sagen.
Im Gymnasium hatte ich einen Klassenkamaraden, der hieß Udo, Udo
Bansbach, dessen Vater hatte eine Lampenfabrik. Ich begeisterte ihn
für’s Raketenbauen. Kurz darauf kam er mit einer wunderschönen Rakete
in die Schule, ungefähr zehn Zentimeter lang, sie bestand aus
Lampenkonstruktionsteilen, Zehner-Rohren, Messing, auch verchromt,
mehreren Gewindeadaptoren, herrlich, man konnte sich mit diesen
Teilen austoben.
Als Düse diente ein Rohrabschluß, den wir durchbohrten. Von ihnen gab
es eine Reihe von Kugel- ,Kegel- und Zylinder-Formen, was diese
Endstücke für eine Funktion hatten, war mir unklar, als Zierstücke
für im Raume endende Lampenstangen, oder zur Befestigung eines
Schirms? Als Kopfenden der Raketen waren sie natürlich auch geeignet.
Besonders prachtvolle Enden konnte man mit den übergangsstücken von
einer Gewindegröße zu einer anderen konstruieren. Und Udo saß an der
Quelle. Ich stand unter Konkurrenzdruck, aber in seiner Krabbelkiste
befanden sich nur immer die Reste, die er nicht wollte.
Die Gewinderohre hatten in der Längsrichtung eine Naht, und die war
sehr anfällig gegen Belastung, sie platzten besonders gerne bei
schlechter Dimensionierung. Außerdem hatten diese Raketen noch einen
großen Nachteil: Sie waren schwer, und daher flogen sie nicht weit!
Als ich dann eine zweistufige Rakete aus Tablettenröhrchen
konstruierte, war die Welt wieder in Ordnung. Mein dreistufiges
Exemplar kam nicht mehr zum Einsatz.
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Renate Vcelka oder eine verlorene Zukunft
Ich sitze im Zug nach Berlin, die Häuser ziehen vorbei, das Land ist flach.
St. Pölten liegt schon lange hinter mir, der Blick aufs Krankenhaus - Erinnerungen
mit Wehmut behaftet. Ist sie wirklich tot? Ich habe doch noch gestern ihre Stimme
gehört, sehe ihre Stiefel in der Stadt spazieren, fühle ihre Gedanken
in den meinen: "Wenn man erst einmal anfängt, sich auf den Freitag zu
freuen.-"
Der Pilz war giftig, viel giftiger als meine Crotalus durissus!
Renate ist tot, unentschuldigt, unwiderruflich tot.
Regensburg, ich hätte hier schon umsteigen können, aber ich fahre
weiter, in verbissener Lethargie, sinnlos sauer, weil es nicht zu
ändern ist. Es waren doch nur drei Tage mit ihr, nur drei Tage, doch
es war mehr, es war viel mehr, es war die verlorene Zukunft mit ihr!
Ein Wochenende, was ist das schon, dieses Wochenende zum Leben ist
wie der Pol zur Polaren, sie gehören doch zusammen.
Ein kläglicher Versuch meiner Gedanken, der Sache einen Sinn zu geben.
Ein paar Damhirsche grasen vor einem Wäldchen, mitten am Tag. Parsberg,
Felder, ein Kirchlein am Berg, Tennisplätze, ein gelber Kadett. Mir
gegenüber sitzt ein elfjähriges Mädel und strahlt mich an:
Osterferien.
Als ich das letzte mal nach Berlin fuhr, war ich in anderer
Gemütsverfassung, und ich hatte auch andere Gedanken, freudige
Aktivität hatte mich durchströmt, Taten fordernd, planend. Und jetzt?
Ein halbes Jahr hat sie gekämpft, blind, nur mit ihren Gedanken
beschäftigt. Doch sie hat verloren gegen die Eifersucht in Form einer
Kugel.
Kiefernwälder, sie wirken wie große Hallen auf mich und jede Säule
ist doch ein Individuum, keine zwei gleichen. Keine zweite Renate!
Ist es gut so, oder nicht? Was spielt’s für eine Rolle, es ist so!
Auch meine Tränen können nichts ändern, Machtlosigkeit.
Ein Schüler, Steinmetz, machte mir einen Grabstein.
Ein Wochenende, das ihr das Leben und mir eine Zukunft nahm.
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Mutter und Sohn samt Umfeld
Wenn ich bei meiner Mutter mal wieder mit einer neuen Freundin
auftauchte, kam ich meist in den Genuss, einige alte Geschichten zu
hören.
Dadurch, dass ich mich den größten Teil meiner Kinder- und Jugendzeit
im Wald herumtrieb, kam ich auch in Kontakt mit jenen Lebewesen, die
dem Durchschnittsmenschen nicht so liegen, mit Schlangen, Eidechsen,
Fröschen, Spinnen und was da sonst noch alles kreucht und fleucht.
Es dauerte nicht lange, bis die ersten Terrarien zu Hause
herumstanden, zum Leidwesen meiner Mutter. Bevorzugte Insassen waren
die im Fenn gefangenen Ringelnattern.
Ich roch sie regelrecht, wenn nur eine Schwanzspitze hinter einem
Grasbüschel hervorschaute setzte ein Hechtsprung ihrer momentanen
Freiheit ein Ende. Wenn dann noch ein Frosch in greifbarer Nähe war,
wurde sie gleich an Ort und Stelle gefüttert, sie fraßen oft aus der
Hand. Einmal quakte ein Frosch noch im Bauch! Dann wurden sie ein
bisschen herumgetragen und wieder frei gelassen. Fünzehn Stück an
einem Tag war der Rekord.
Mein Freund Norbert und ich entwickelten eine eigene Taktik: Am Rande
des Fenns war ein südseitiger Hang, auf dem es die Ringelnattern
liebten, sich zu sonnen. Näherte man sich, so schossen sie
pfeilschnell den Hang hinunter, um im Wasser unterzutauchen, und sie
konnten lange tauchen. Norbert ging am oberen Teil des Hangs entlang,
darauf bedacht, fest aber nicht zu fest auf dem Boden aufzutreten,
ich schlich am unteren Teil in etwas vorgerückter Position am Ufer
entlang und brauchte die aufgescheuchten Nattern nur noch
einzusammeln. Jetzt, wenn ich daran denke, packt mich die Wehmut,
denn es gibt keine Schlangen mehr im Fenn!
Zwei oder drei waren den Sommer über in häuslicher Pflege bei mir,
und da sie Meister im entkommen sind, gabs auch hin und wieder
überraschungen.
Missstimmung lag in der Luft, als ich vom Schachspielen nach Hause kam. "Warum
bist Du denn so schlechter Laune?" fragte ich meine Mutter. "Soll ich
nicht schlechter Laune sein, wenn eine Deiner Schlangen in meinem Bett ist?!"
Ich grinste nur und meinte "Da hätte ich gerne meine Ma herumhüpfen
sehen!" Als meine Mutter nämlich das Bettdeck zurückschlug, um
schlafen zu gehen, war es mit ihrer Müdigkeit zu Ende. Ihr Schrei rief die
Nachbarin herbei und gemeinsam trugen sie das Bettzeug samt Inhalt (=Ringelnatter)
in mein Zimmer und versperrten die Tür, als ob so ein arm- und beinloser
Wurm die Türklinke betätigen könnte. Für zwei Mark durfte
dann der Sohn der Nachbarin das Reptil wieder in ihren Behälter setzen.
Ein andermal standen zwei ältere Damen, die zwei Stockwerke unter uns
wohnten, verstört im Hausflur, die Feuerwehr war auch schon
dagewesen, eine Schlange haben sie in Ihrer Wohnung gesehen. Das
konnte nur eine meiner Ringelnattern sein, und sie konnte nur den Weg
über den Balkon gewählt haben. Na schön, ich begab mich also in ihre
Wohnung auf Schlangensuche. Wer dieses Spielchen schon mal gespielt
hat, kann ermessen, wie schwierig solch ein Unterfangen (hier
Einfangen) ist. Nach einer Stunde erfolgloser Suche setzte ich mich
zum überdenken in einen Sessel. Vor mir stand eine Nähmaschine. Und
darin bewegte sich ein Kabel.
über den Balkon verabschiedete sich auch meine Schildkröte "Tante
Emma". Sie lief nämlich jeden Morgen, nachdem sie in der Küche
gefrühstückt hatte, auf den Balkon, setzte ihre Vorderfüße
so auf die Schwelle, dass sie unten den vorbeifahrenden Autos nachschauen konnte.
Einmal war sie wohl zu neugierig und landete einen Balkon tiefer. Ich ging hinunter,
läutete und fragte: "Haben Sie meine Tante Emma gesehen?"
Antwort: "Kind, ich kenne Deine Tante Emma nicht." "Na, meine Schildkröte!"
So kam eine Bekanntschaft zustande.
Eidechsen hatte ich natürlich auch, meist Zauneidechsen, machmal auch
Waldeidechsen, sogar einmal eine schwarze!
Meine Mutter:
"Einmal, das ist mir noch gut in Erinnerung, das liebe Kind schlief
schon und ich las wie üblich noch im Bett. Irgendwann schweifte mein
Blick durchs Zimmer und ich sah an der hellen Tapete -zig schwarze
Punkte, die sich teilweise bewegten. Der ungewohnte Anblick
veranlasste mich, diese Punkte an meiner sonst so makellosen Tapete
näher in Augenschein zu nehmen. Zu meinem Entsetzen entdeckte ich,
dass diese Punkte hunderte von entkommenen Spinnen waren, die als
Nahrung für die Eidechsen gedacht waren. Voller Ekel weckte ich
meinen Sprössling und befahl ihm, die Viecher wieder einzusammeln und
einzusperren, sein Kommentar:’Wegen der paar Spinnen weckst Du mich
extra?!’"
"Eines Tages überraschte mich mein Knabe strahlend mit einer neuen
Errungenschaft: Ein Krokodil! Meine Begeisterung war grenzenlos. Sie
steigerte sich noch, als ich erfuhr, dass das Untier bis zwei Meter
lang wird. Unsere Sympathien waren gegenseitig getrübt. Eduard, so
wurde das Vieh genannt, fauchte, wenn es mich sah und ich hatte Angst
vor dem zukünftigen Menschenfresser und grübelte viel nach, wie wir
ihn wieder loswerden könnten. Beim Fleischer kaufte ich für wenig
Geld Innereien, für unser Krokodil, sagte ich verschämt. Keiner
wollte glauben, dass wir sowas in der Wohnung hatten. Bald darauf
fuhr der liebe Sohn zum Studium nach Wien und wollte mir Eduard
hinterlassen. Ich weigerte mich mit Recht, dieses Erbe anzutreten
und so landete Eduard im Zoo."
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Der Schulverweis
Na, da hab ich mir wieder was geleistet: Matura-Klassenreise.
Zuvor erklärte uns Herr Depuis, es war unser Kunstlehrer, Franzose:
"Eine Reise ohne Beischlaf ist wie eine Oper ohne Musik!", aber wir
waren damals alle noch nicht soweit.
Die Reise führte in den Bayrischen Wald:
Natürlich gab’s da auch Schlangen und ein Klassenkamerad, Michael
Bauer, wollte mir während einer Wanderung zeigen, dass auch er
Schlangen fangen kann. Konnte er auch, nur beachtete er nicht, dass
nicht alle Schlangen so harmlos wie Ringelnattern sind, er vergriff
sich an einer Kreuzotter, die ihn natürlich biss. Er kam in’s Spital.
Ich rächte den Biss, und zog ihr das Fell über die Ohren. Ich stand
als Held da, heute tut’s mir leid.
Dieser Kamerad hatte auch Stinkbomben organisiert, mit der er den
Aufenthalt im Schlafraum unerträglich gestaltete. Dies verteilte er
auch großzügig mit der Aufforderung, selbst geeignete Orte für deren
Anwendung zu finden.
Ich fand einen: Es war das volle Gasthaus an der Zonengrenze bei der
Rückreise, in das wir einkehrten. Das Lokal leerte sich schnell und
ich wurde natürlich verpetzt.
Zwei Wochen danach gab es die große Lehrerkonferenz, in der es um
meinen Kopf wegen dieser zwei Vorfälle ging. Nur meinem Schuldirektor
Siedentop, der mich irgendwie ins Herz geschlossen hatte, verdanke
ich mein überleben.
Ein Fußballspiel am Anfang dieser Klassenreise gegen eine
Dorfmannschaft hatte auch seine Folgen hinterlassen, ich bekam
nämlich einen harten Tritt gegen meinen rechten Knöchel, dieser
schwoll auch sehr schnell an und war äußerst schmerzhaft, besonders
beim Gehen.
Verstaucht konstatierte der Arzt und alle gaben sich damit zufrieden.
Doch die Schwellung wollte auch nach fünf Wochen nicht zurückgehen,
obwohl der Schmerz mit der Zeit nachlies. Das brachte mich auf eine
Idee: Ich hörte, dass man im Krankenhaus Oskar-Helenen-Heim auch bei
Verstauchungen einen Gips bekam. Und eine Französischarbeit stand vor
der Tür, die mußte ich aus taktischen Gründen versuchen zu umgehen,
waren doch meine Vokabelkenntnisse im Moment nicht auf Schulniveau
und mir fehlte auch die Zeit, sie mir noch rechtzeitig anzueignen.
Aber ein Gips am Fuß lieferte sicher keine gute Ausrede, es mußte
einer auf der Hand her. Ich fuhr daher zur Krumme Lanke mit dem
Fahrrad und bat meinen Freund Norbert, mir doch ein paarmal auf die
rechte Hand zu treten, damit sie verstaucht aussehen möge.
Er kam
meinem Wunsch nach, doch auch nach zehn Tritten war weder ein blauer
Fleck sichtbar noch eine ordentliche Schwellung zu sehen, nur ein
paar Hautabschürfungen. Aber das sollte doch reichen.
Ich radelte also ins besagte Krankenhaus und erklärte einen
Fahrradunfall, und zur Unterstützung meiner Aussage zeigte ich den
immer noch verdickten Knöchel.
"Ja, es tut mir leid", sagte der herauskommende Arzt, nachdem er die
Röntgenbilder begutachtet hatte, "ist gebrochen." "Was?", fragte ich
verwundert, die Ramponierung meiner Hand war doch gar nicht so
schmerzhaft gewesen. "Was, die Hand ist gebrochen?" - "Nein, der Fuß!"
So bekam ich einen Gipsfuß und einen Gipsarm und die
Französischarbeit fiel für mich aus.
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Ein Montag
Einer wie jeder andere, nur noch brutaler. Ich bin in dieser Richtung
abergläubisch, der Montag ist mein Pechtag, war es schon immer,
wenigstens soweit ich mich zurückerinnern kann. Es mißglückte mir
einfach alles, ich ging jeder Prüfung aus dem Weg, die auf einen
Montag fiel, wollte am liebsten zu Hause im Bett bleiben, und heute
ist auch Montag, Montag der zweite Oktober 1978.
Letzten Dienstag nach dem Schachspielen traf ich meine Frau Elisabeth gegen 22
Uhr im Café Museum. Sie wartete dort schon auf mich bei einem Glas Milch.
Sie freute sich, mich zu sehen. Dazu muss ich sagen, dass wir nicht zusammen wohnen,
jeder geht so seiner Wege. Sie war sehr gut aufgelegt, was sehr selten bei ihr
der Fall ist, denn meist ist sie deprimiert und fragte mich, ob ich sie noch liebe,
was ich zugeben musste. Und, ob ich nicht mit ihr ein richtiges Familienleben
führen wolle, worauf ich eine ausweichende Antwort gab.
Eigentlich wollte ich sie diesen Abend in den Marchfelderhof zum
Essen einladen, doch es war ihr schon zu spät. Sie erzählte mir von
den Kanadiern, die sie kennengelernt hatte, und dass diese sehr
religiös wären, sie eigentlich auch katholisch erzogen wäre, und dass
sie zu viert eine Nacht im Bett verbracht hätten.
Gegen solche Religionsfanatiker hatte ich schon immer etwas, aber ich
wollte sie kennenlernen, ich wollte einfach mal wieder neue Leute
kennenlernen, aber sie wollte mich nicht mitnehmen:
"Du redest immer nur vom Ficken, da blamier ich mich mit Dir". "Nein",
sagte ich, "das mach ich nur bei Dir!"
"Ich möchte das Bild mit der Frau am Kreuz von Dir haben, nur geborgt,
gibst Du es mir?" Dieses Bild trägt den Titel: "Durch die Seele
fließt kein Blut" und zeigt eine gekreuzigte Frau, vor ihr kniet ein
Mann, der in erhobenen Händen einen Blumenstrauß hält. Merkwürdig,
warum ausgerechnet dieses Bild?
Ich empfand sie als etwas euphorisch und wurde mißtrauisch - wieder
eine manische Phase? Sie hat überhaupt nicht geschlafen, das passte
ja dazu. Sie habe mit dem lieben Gott geschlafen, Michael, der ist
wie Gott, ein Deutscher, der zum Wochenende in Wien war. "Ich liebe
alle Menschen!" erwiderte sie, als ich fragte, ob sie mich denn noch
liebe.
Ich begleitete sie zur Stadtbahn und schlief bei Hilde. Freitag in der früh
rief sie mich an, sie hatte schon wieder nicht geschlafen, die manische Phase
war da. Am Abend saß ich bei Roland, als Elisabeth plötzlich auftauchte,
sie kam von den Kanadiern. In’s Café Hummel wollte sie auch nicht
mit, sondern lieber den Abend bei Frau Homa, die unter ihr wohnt, verbringen.
Am Samstag habe sie auch keine Zeit, da führt sie ihre Mutter hinaus auf’s
Land, und die Nacht verbringt sie mit den Kanadiern.
Sonntag abend schrieb ich bei Hilde an dem Stück: 2. Flaschensatz:
Jedem Pferd sein Fleisch. Roland rief mich dort um halb Eins in der
Nacht an, Hilde und ihre Freundin Teeni machten gerade Yoga, und
erzählte, dass die Lisl schon wieder spinnt, sie erzähle was von
Spinnen, und ob er spanisch könne und außerdem wollte sie ihm etwas
aus einem Pornoheft vorlesen. Ein gewisser Leo sei auch noch bei ihr,
fuhr Roland fort und betonte, dass man sie morgen unbedingt zum Arzt
bringen müsse. Außerdem soll ich mich endlich trennen von ihr, weil
ich als Ehemann schließlich für sie aufkommen müsse und ich solle
doch an meine Zukunft denken. Es war Gefahr im Verzuge, ich wusste es
und wollte sie am nächsten Morgen gleich anrufen. Bei Hilde gab es
nach dem Anruf gleich ein Theater: "Muss der Roland jetzt die
Lisl-Geschichten schon zu mir in die Wohnung tragen?!, der darf
überhaupt nicht mehr hier anrufen!" Es wurde eine angespannte Nacht,
ich hatte es satt!
In der Früh um acht rief ich Elisabeth an, doch es hob niemand ab.
Vom Büro rief ich Roland an, der meinte, ich solle den Ringel anrufen,
ihm die Sachlage schildern und wegen möglicher Vorbeugemaßnahmen
fragen. Das machte ich auch.
"Winkelmann, - Winkelmann?? Ah ja, ist das nicht die Frau Doktor, die
mich eines Nachts aus dem Bett holte?! Warten Sie einen Augenblick,
ich habe heute den Anruf von der Rettung wegen eines Suizidversuchs
bekommen, rufen Sie die Rettung an, und fragen Sie, in welchem
Krankenhaus sie liegt, und rufen Sie mich dann wieder an, ich werde
mich um den Fall kümmern.
Sie lag im Meidlinger Unfall-Krankenhaus, ich war zehn Minuten später
dort.
Doppelter Oberschenkelbruch, Nasenbeinbruch, Zähne verloren, schwere
Gehirnerschütterung.
Ein Montag.
Als ich ihre Mutter anrief, machte diese mir Vorwürfe, dass Elisabeth
einen Mann hätte, der sie nicht erhält, sie hätte ihr schließlich zum
Doktorat verholfen, mehr könnte sie ja nun wirklich nicht tun.
Die Krankenschwestern wunderten sich nicht über die Handlung meiner
Frau: "Bei der Mutter." Ich meldete mich krank und fuhr in Elisabeths
Wohnung, um nach der Adresse der Kanadier zu suchen, dabei fand ich
auch ihre Niederschrift: "Ich will nicht schreiben, ich will leben!"
Von den Nachbarn erfuhr ich, dass sie die Nacht mit einem Taxifahrer
verbracht hatte. Raffael, einer der Kanadier, war nicht zu Hause,
doch rief er mich zurück: Ich solle ihm doch morgen nach meinem
Spitalsbesuch berichten, wie es Ihr geht.
Ich werde es nicht tun.
Es ist jetzt zehn nach zwölf und somit Dienstag, ich gehe jetzt
schlafen. Ich habe keine Lust, Hilde jetzt zu sehen. Mein
Klapperschlangenkind ist gestorben.
Lisl sprach im Spital meist englisch.
Nicht alles was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht!
zurück
Die Nebelkrähe
Sie war ganz nass und konnte nicht mehr fliegen, und so nahm ich sie
mit nach Haus, um sie wieder aufzupäppeln. Mit viel Geduld versuchte
ich ihr drei Tage lang das Sprechen beizubringen. Das misslang, und
so entließ ich sie beim nächsten schönen Wetter wieder in den Wald.
zurück
Auf des Messers Schneide
Der Wald rund um die Krumme Lanke gehörte uns, Norbert und mir. Auch
das Fenn war unser Territorium. Wir bauten Höhlen, bauten Brücken,
kletterten auf Bäume und rannten in der Badehose durch Brennesseln.
Und als richtige Indianer lernten wir auch mit dem Messer so zu
werfen, dass wir sogar Mäuse killten.
Ein Eindringling kam in unser Revier, ohne uns den nötigen Respekt zu
zollen. Er stand an eine Kiefer gelehnt und dachte überhaupt nicht
daran, den Wald zu verlassen. Wie ein Reflex zog ich mein Messer und
warf es ihm genau neben sein Ohr. Einige Minuten starr vor Entsetzen
blieb er wie gelähmt, dann rannte er davon. Hätte ich schlecht
geworfen, sähe mein Leben heute wohl anders aus.
zurück
Abschied von der Clusiusgasse
Es war die erste Bleibe in Wien, gleich beim Franz-Josephs-Bahnhof,
ein Untermietzimmer bei Frau Schäffler, Clusiusgasse 14 Tür 9.
Rainer von Aufschneiter, ein südtiroler Graf, wohnte im Nebenzimmer,
ein richtiges Zimmer, mit drei Fenstern und ein bißchen Platz, ich
dagegen in einem kleinen Schlauch, der als Kabinett bezeichnet wurde.
Ich hasste dieses Zimmer, lauter weiße Möbel, ich kam mir vor wie im
Krankenhaus. Ein weißes Bett, ein weißer Schreibtisch, ein weißes
Tischchen, ein weißes Regal und zwei weiße Stühle, in österreich
Sessel genannt, waren die Einrichtung, - von Gemütlichkeit fehlte
jede Spur.
Herrenbesuche waren unerwünscht, Damenbesuche überhaupt verboten! Das
erste Jahr in Wien war grauslich, und die Sitten waren mir fremd. Ging man in
ein Café-Haus, so setzte sich jeder allein an einen Tisch, außer
beim Heurigen ging alles sehr distanziert von statten. Dort jedoch, in seliger
Weinlaune, wurde zwar auch nicht hinter der Hand gehalten, was man von den Deutschen
hielt, doch man sprach wenigstens mit ihnen, wobei die Kellner fast immer versuchten,
die Rechnungen zu ihren Gunsten auszustellen. Damit, dass dort entstehende Verabredungen
nie eingehalten wurden, hatte ich auch Probleme, und das Austauschen von Telefonnummern
war eigentlich nur ein Ritual.
Es war schwierig, Freunde zu finden, vor lauter Frust ging ich fast
jeden Tag ins Kino. Auf der Uni lernte ich dann Franz beim Boxen
kennen, ein Psychogiestudent. Er spielte auch gut Schach und so lud
ich ihn einmal zu mir ein. Rainer, mein Mitbewohner war auch zu Hause,
wir waren zu dritt und ich machte den Vorschlag Skat zu spielen. Wir
setzten uns in Rainer’s Zimmer, er hatte sogar eine Flasche Wein
daheim, und hatten einen vergnüglichen Abend. Gegen 21 Uhr kam unsere
Wirtin ins Zimmer und erklärte, dass der Herr aber bis spätestens 22
Uhr zu gehen habe.
Nachdem wir nicht laut waren, sahen wir darin eine
massive Einschränkung. Um 22 Uhr betrat sie dann nochmals den Raum
und forderte uns auf, das Beisammensein aufzulösen. Franz wollte
daraufhin aufstehen, doch hielt ich ihn zurück. "Dann rufe ich die
Polizei" sagte Frau Schäffler und ging zum Telefon. "Tun Sie das" war
meine Antwort und wir spielten einfach weiter.
Ein Polizist erschien mit der Wirtin und fragte uns: "Was tun Sie
hier?" - "Wir spielen Karten".
Und zur Vermieterin gewandt: "Ja, da kann ich leider nichts tun",
dann ging er wieder. Wir spielten noch bis Mitternacht und es wurde
uns klar, dass sind unhaltbare Zustände, da muss sich etwas ändern!
Telefonieren konnten wir auch nicht mehr, nachdem ein Telefonschloss
angebracht wurde. Doch Rainer kannte einen Trick, mit dem es
trotzdem möglich wurde: Er klopfte nämlich in gleichmäßigen Abständen
mit dem Finger auf die Telefongabel, für eine Eins ein Mal, für eine
Neun neun Mal. Um eine Null zu wählen, musste zehn Mal der richtige
Takt gelingen, und diese Null war für Ferngespräche natürlich von
besonderer Bedeutung.
Die Telefonrechnung stieg, wir aber wussten
nicht wieso, vielleicht kann die Post nicht richtig rechnen...
Rainer suchte schon über ein Vermittlungsbüro eine Wohnung und ich
beschloss, auch auszuziehen. Jede Wohnung, die er nicht nahm, schaute
ich mir an, und es klappte, wir hatten den gleichen Umzugstermin. Für
den letzten Tag in dieser Wohnung überlegten wir uns noch einige
Streiche.
Frau Schäffler war nicht zu Hause, und so stellten wir auf die
angelehnten Türen mit Wasser gefüllte Plastikbecher, die sich, wenn
die Tür geöffnet würde, über die liebe Wirtin ergießen würden. Allein
die Vorstellung bereitete uns Vergnügen.
Und da gab es noch die Toilette, diese war nur mit Hilfe eines
Riegels von innen versperrbar. Ich legte einen dünnen Faden um diesen
Riegel, schloss die Tür und zog mit Hilfe des Fadens den Riegel zu,
anschließend entfernte ich den Faden, die Klotür war nicht mehr zu
öffnen.
Als unsere Wirtin beim Nachhausekommen die erste Dusche erhielt,
verschwand sie sofort in der Küche, doch auch da kam das Wasser von
oben. Nun wurde es aber Zeit, hier zu verschwinden, und ohne uns zu
verabschieden verließen wir mit einem Grinsen ob der noch zu
erwartenden Ereignisse diese Wohnung. Die weiteren Geschehnisse
konnten wir uns leider nur in der Fantasie ausmalen.
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Schach in Basel
Eine Woche lebte ich bei meinem Vater in der Schweiz. Wir spielten
viele Partien Schach, bis auf eine gewann ich alle, aber diese eine
wurde mir eine gute Lehre:
Ich war so überlegen, hatte sechs Damen und spielte Katz und Maus mit
ihm. Dabei verlor ich die Aufmerksamkeit und mit einem
überraschungszug setzte mich mein Vater matt. Die Moral der Geschicht:
Und wenn man noch so gut darsteht, verliere man die Kontrolle nicht!
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50 Frösche
In der Brigittenauer Lände Nr. 16 bewohnte ich auch ein Kabinett, die
Wirtin war lieb. Eine nette ältere Dame. Einmal überraschte ich sie,
als sie sich entkleidet in der Küche wusch, sie sagte nur "Huch!".
Damenbesuch durfte ich auch haben und sie erlaubte mir sogar die
Haltung einer Grasnatter!
"Wenn sie keinen Dreck und keinen Lärm macht, meinetwegen."
Die Grasnatter war sehr schön, grasgrün mit großen schwarzen Augen.
Sie gefiel sogar meiner Wirtin, auch dass sie sich von Fröschen
ernährte, schien sie nicht zu stören.
Ein bevorstehender längerer Aufenthalt in Berlin veranlasste mich,
ihr zu erklären, wie meine Grasnatter zu versorgen sei.
Ich besorgte fünfzig Frösche als Vorrat, - ich konnte nun wirklich
nicht von meiner Vermieterin verlangen, in den Wald zu gehen und
Frösche zu fangen - , die kamen in einen gesonderten Behälter und
wurden kühl gestellt.
Nach meiner Rückkehr erfuhr ich von ihr, dass sie beim Putzen das
Aufbewahrungsgefäß der Frösche umgeworfen hatte und die lieben
Tierchen in der ganzen Wohnung herumgehupft waren. Und sie hatte sich
redlich bemüht, alle wieder einzufangen. Einen fand ich Monate später
vertrocknet unter meinem Bett.
zurück
Trimeresurus sumatranus
Endlich eine eigene Wohnung, ha, da konnte man auch Giftschlangen
halten!
Eine Tailändische Lanzenotter bezog alsbald bei mir Quartier. Eine
schlanke grüne Baumschlange, Mäuse fressend.
Beim Säubern des Terrariums läutete das Telefon, und ich vergaß das
Terrarium zu schließen.
Und schon war sie verschwunden. Suchen. Schlangen sind Meister im
Verstecken. Das Regal, in dem das Terrarium stand, reichte bis zur
Decke und war voll mit Büchern und die Stereo-Anlage samt Verkabelung
war auch nicht dazu angetan, meine Suche zu erleichtern. Es gab genug
Verstecke. In einer Stunde war das Regal durchsucht, doch dort war
sie nicht! Ich konnte sie nicht finden! Was tun?
Ich zog mir meine Stiefel an und suchte nochmals. Wieder nichts. Mein
Hochbett erschien mir auch nicht als sicherer Aufenthaltsort, war
meine Lanzenotter doch ein ausgezeichneter Kletterspezialist.
Da kam mir die Idee: Es war Winter, und tropische Schlangen mögen
keine Kälte. Ich riss die Fenster auf und löschte den ölofen. Es
wurde kalt. Bei zehn Grad pendelte sich die Zimmertemperatur ein.
Trotz weiterer Suche in den nächsten Tagen, war das Tier nicht
aufzufinden. Und bei zehn Grad war das Wohnen auch nicht besonders
angenehm.
Wo habe ich noch nicht gesucht?, fragte ich mich. Und dann kam es mir:
Im ölofen. Nach Abnahme der Verkleidung lag sie da, zusammengeringelt
und sehr träge. Sie kam wieder ins Terrarium und ich konnte wieder
einheizen.
zurück
Das Vampiropfer
Für diesen Abend hatte ich mir Sandy eingeladen. Da musste es schön
sein in meiner Wohnung.
Das beinhaltete auch eine Neugestaltung meines großen Terrariums,
indem sich fünf Klapperschlangen befanden, Crotalus scutulatus.
Diese Gattung hat ein besonders böses Gift, es ist nämlich
zwei-komponentig. Sie haben sowohl ein blutzersetzendes als auch ein
Nervengift.
Zum Säubern eines Terrariums mit Giftschlangen empfielt es sich,
diese vorher aus ihrer Behausung zu entfernen. Das tat ich auch.
Normalerweise sind Klapperschlangen sehr friedliebende Wesen, auch
nicht agressiv, wenn man ihnen mit Ruhe begegnet, und so ist es auch
einfach, sie umzusetzen. Man nimmt einen Haken, schiebt ihn unter das
Tier und hebt es einfach auf.
Mit vieren ging dieses Verfahren einwandfrei, doch eine war höchst
verstört, schnellte ein paar mal mit dem Kopf in meine Richtung,
zischte und klapperte wild mit ihrem Schwanz.
Bist Du nicht willig, gebrauch ich Gewalt, dachte ich mir und holte
mein Stöckchen, an dem eine Lederschlaufe befestigt war.
Eingefangen war sie schnell, Schlinge zugezogen, ab ins andere
Terrarium. Dies war eins, bei dem es oben ein enges Gitter zum
Zuschieben gab.
Die vorher übersiedelten vier Reptilien hatten es sich inzwischen
schon gemütlich gemacht. Doch als ich das wild am Stock zappelnde
Tier zu ihnen setzen wollte, wurden auch sie unruhig. Jetzt fing ein
Problem an, es ließ sich nämlich die Schlaufe nicht gleich lösen und
die Beunruhigung der anderen nahm zu. Bevor sie mir jetzt alle in der
Wohnung herumspazieren, dachte ich, schieb ich das Gitter soweit wie
möglich zu. Ein fataler Fehler, das gute Stück an meiner Schlinge
erkannte sofort die Situation und biss einfach durchs Gitter.
"Scheiße, so sieht also das Sterben aus" waren meine Gedanken. In
einer Minute war der Finger schwarz.
43 43 43 war die Telefonnummer der Giftzentrale in Wien, Serum hatte
ich keins zu Hause, aber es meldete sich niemand, dafür klopfte es an
der Tür.
Sandy kam herein und wurde von mir mit der Bemerkung begrüßt: Es wird
leider nichts mit unserem Rendevous heute, weil ich werde jetzt
sterben.
Unglaube war in ihrem Gesicht zu sehen, doch nachdem ich ihr meinen
Finger gezeigt und den Hergang geschildert habe, war sie überzeugt.
Auch mehrmalige Anrufe im Allgemeinen Krankenhaus führten nicht zum
Erfolg, es hob niemand in der Giftzentrale ab.
Also hinfahren! Aber bei den ärzten war ich mir nicht so sicher, ob
sie mit einem solchen Fall schon zu tun gehabt haben, und so nahm ich
kurz entschlossen mein Fachbuch über Schlangenbisse mit, auf die
optimale Behandlung zu hoffend.
So stapfte ich mit dem Buch unterm Arm in der Begleitung von Sandy
zum Auto. Doch dieses wollte und wollte nicht anspringen, jetzt wurde
ich doch etwas nervös, obwohl ich sonst weder Schmerzen noch übelkeit
verspürte.
Es gelang schließlich doch, das Gefährt zu starten, der Portier
erklärte uns den Weg zur Giftzentrale. Sie war im Keller eines der
Türme untergebracht. Es war schon gegen 22 Uhr. Als wir an der Tür
mit der entsprechenden Aufschrift klopften, öffnete niemand, es war
überhaupt niemand zu sehen, der mir irgendwie weiterhelfen konnte.
Mir gings immer noch gut.
Im zehnten Stock traf ich endlich eine Krankenschwester, der erklärte
ich mein Problem. Ein kurzes Telefonat und ich begab mich wieder in
den Keller.
Nun öffneten zwei Jungärzte die Tür. Ich schilderte, was passiert ist,
schlug die Seite in meinem mitgebrachten Buch auf, deutete mit
meinem Finger auf eine Stelle und sagte: "Dieses Serum möchte ich
haben!" "Das haben wir nicht" bekam ich zur Antwort, "für diese
Schlange haben wir kein Serum, aber wir haben ein Polyvalentes Serum,
das sollte auch helfen". Nett, dachte ich, aber mir ging es immer
noch gut. Sandy schaute zu.
Ein Arzt kam jetzt mit einer Riesenspritze, das müssen mindestens
20ml gewesen sein, auf mich zu und spritze mir den Inhalt in den
Oberarm - später las ich, dass man den Inhalt am Körper verteilt
zuführen soll. Und jetzt wollte er mir noch eine Spritze geben und
ich fragte, wozu die denn sei. Das ist Tetanus, wurde mir erklärt,
die muss man bei Schlangenbissen auf jeden Fall verabreichen.
Aber ich bin vor drei Wochen Tetanus geimpft worden, begehrte ich auf,
das brauch ich nicht und wir fingen fast an, zu streiten. "Sie sind
der Arzt, Sie müssen das verantworten" war meine Antwort und zu Sandy
gewandt, komm, wir gehen.
Doch grad dass die beiden ärzte sich nicht auf die Knie geworfen
haben, um mich zu bitten, doch zu bleiben, nur zur Beobachtung, nur
bis morgen. Ich gab nach, verabschiedete mich von Sandy, und kam auf
die Herzstation, ein Raum mit 40 Betten. Mein’s war ziemlich weit
hinten.
Am nächten Morgen stand eine riesige ärztetraube um mein Bett, ich
war die Sensation! Ich wollte jetzt aufstehen und gehen, doch sie
ließen mir keine Chance. Stündlich nahmen sie mir Blut ab, ich kam
mir vor, wie ein Vampiropfer. Aber auf der anderen Seite, konnte ich
die Neugier der ärzte gut verstehen. So blieb ich eine Woche im
Spital.
Schon wieder in der Arbeit, fing es mich an der Impfstelle zu jucken
an. Um diese Jahreszeit gibt es keine Mücken. Doch es sah aus, wie
ein Mückenstich.
Und dieser Mückenstich schien sich zu vermehren, bald war ich am
ganzen Körper voller Dipeln, sie juckten fürchterlich. Ich ging nach
Hause, die nächsten zwei Tage war ich nur mit Kratzen und Reiben
meiner Oberfläche beschäftigt, dann wurde es mir zu bunt, ich ging
wieder ins Spital.
Das ist eine Allergie, wurde mir offeriert, "Sie sind allergisch auf
das Pferdeserum!" Viele Menschen sind schon am Schlangenserum
gestorben, nicht am Schlangengift. "Wenn Sie das nächste Mal von
einer Giftschlange gebissen werden, vermeiden Sie ein Pferdeserum,
das kann schlimmer enden als der Biss. Verlangen Sie ein
Kaninchenserum, die sind gut verträglich, aber es gibt das
Kaninchenserum nicht überall.
Zuerst eine Salbe gegen den Juckreiz, und dann eine
Cortisonbehandlung, in schwacher Dosierung, hieß es, haben mein
Leiden geheilt.
Welchen Schluss kann man aus dieser Geschichte ziehen?
Zum Beispiel, dass Helfen oft mehr Schaden zufügt.
Und was noch?
zurück
Militärlösung
Nach Bezug meiner ersten eigenen Wohnung am Brigittaplatz flatterten
zwei Poststücke ins Haus. Der eine Brief war von der katholischen
Kirche, ich solle 21 Jahre Kirchensteuer nachzahlen. Die spinnen ja,
dachte ich mir und von nun an war ich Atheist. Der andere war ein
Einberufungsbefehl vom Militär. Auch das noch. Voll tauglich, mit
Waffe, und das, obwohl ich blind und taub war. Ich zum Militär, da
sitze ich ja nur im Bau! Ich werd’ doch nicht so blöd sein, und mich
von irgend so einem Typen tyrannisieren lassen.
Solange ich noch Student war, bekam ich Aufschub, später unterschrieb
mein Professor, dass ich für dringende wissenschaftliche Arbeiten
benötigt werde.
Doch in der Zwischenzeit hatte ich eine tolle Entdeckung gemacht, ich
hatte eine Gesetzeslücke gefunden!
Der Einberufungsbefehl kam immer eingeschrieben, solch ein
eingeschriebener Brief wurde aber nicht ins Ausland nachgesendet,
sondern ging mit einem Vermerk der Unzustellbarkeit an den Absender
zurück. Außerdem galt er als nicht zugestellt! Das war die Lösung.
Ich ging zur Post und verfasste einen Nachsende-Auftrag nur für
eingeschriebene Post nach Berlin! Das kostete mich im Vierteljahr
acht Schilling.
Die normale Post erreichte mich weiterhin, die eingeschriebenen
Briefe, die ich nicht haben wollte, bekam ich nicht. Die anderen
wurden in einer nichteingeschriebenen Umschlag an mich zurückgesandt.
Einmal erschien die Militärpolizei, vier Mann, bei mir und fragte, ob
ich der Herr Winkelmann sei. Ich bejahte es. "Sind Sie der Herr
Michael Winkelmann?" wurde die Frage spezifiziert. "Nein, das ist
mein Bruder, und Sie wissen doch, der ist in Berlin!" antwortete ich,
und so zogen die Vier wieder davon. Ich lachte. Irgendwann haben sie
mich dann wohl vergessen. So entkam ich dem Militär.
zurück
Charlotte Hering
Auf der Uni gab’s einen Aushang, eine Aushilfskraft für einen Umzug
mit Führerschein wurde gesucht.
Eine kleine Firma übersiedelte. Ich half beim Einpacken und Einladen
in einen LKW, 3,5 Tonner. Den fuhr ich dann auch nach Mödling hinaus.
Bei diesem Umzug fiel mir das Gesamtwerk des Meyers Konversations-
Lexikons aus dem Jahr 1890 in die Hände, die ich behalten konnte. Ich
war glücklich. Ledergebunden und so herrliche Abbildungen. In meiner
kleinen Behausung hatte ich aber keinen Platz für dieses
sechzehnbändige Werk. Ich beschloss, diese Kunstwerke nach Berlin zu
transferieren.
Da mir das mit dem Zoll zu umständlich erschien, beschloss ich, die
Bücher von München aus zu schicken. Es war November und ich
versuchte, von Wien nach München zu stoppen. An der Wiener
Westausfahrt wartete ich vier Stunden, bis mich ein Auto mitnahm. Es
fuhr bis Salzburg. Dort wartete ich nochmals vier Stunden, bis ich
schließlich in München ankam, war es ein Uhr nachts. Kein Mensch mehr
auf der Straße. Wo soll ich übernachten?
Da hinten ging ein Mädchen, die werd ich fragen, ob ich bei ihr
übernachten kann.
Ich lief zu ihr und erklärte ihr meine Situation, und dass ich
überhaupt nichts von ihr wolle, nur schlafen. Zu meinem Erstaunen
willigte sie ein, sagte aber, dass wir leise sein müssen, und dass
sie nur ein Bett hat. Ich war durchfroren und so kuschelte ich mich
im Bett an sie und schlief gleich ein.
Ich schlief lang, Charlotte war schon auf. Ich suchte meine Socken
und fand sie nicht, fragte Charlotte, ob sie wüsste, wo meine Socken
wären.
"Die sind im Badezimmer." - "Wieso sind die im Badezimmer?"
"Ich hab sie gewaschen." - "Wieso wäscht Du meine Socken?"
"Ich mag keine stinkenden Socken"
Ich blieb noch drei Tage bei ihr, sie schrieb mir noch jahrelang
wunderschöne Briefe. Ich würde sie gerne wieder treffen.
zurück
1998
98 sterb’ ich durch die Hände einer Frau, dieses Orakel trag ich seit
meinem 15 Lebensjahr mit mir herum. Das war praktisch, konnte ich
doch bis dahin machen, was ich wollte, es konnte mir nichts passieren.
Was heißt 98, heißt das 1998 oder heißt das im 98-ten Lebensjahr?
Wenn ich dieses Jahr überleben sollte, werd ich wohl 98 Jahre alt
werden. Heute ist der 15. 1. 1998, Atze ist gestorben. Atze war mein
Graupapagei, zehn Jahre hat er mir durch seine wunderschönen
Pfeifkonzerte Freude gemacht, bin ich morgens aus dem Bett in die
Dusche gegangen, fing er an mit seinen unvergleichlichem Gesang, der
mir gleich den Tag verschönerte. Und die anderen vier Kollegen
stimmten ein. Jetzt sitzen sie da, scheinbar traurig, kein Ton kommt
aus ihren Schnäbeln. Eine ungewohnte Ruhe. Die Hausmitbewohner
liebten seine Melodien, war er doch ein Wildfang und brachte den
Urwald in unsere Steinwüste, sie pfiffen wenn sie die Haustür
öffneten in Erwartung einer Antwort. Ist 1998 ein Sterbejahr?
Als Kind hatte ich eine Würfelnatter, die hieß Vera. Am 24. März 1997
lernte ich Vera kennen, zart und zierlich. Ich nannte sie
Schlängelchen. Doch sie ist eine Schlange. Die Grasnatter, die ich
mir während unserer Liebe zulegte taufte ich Vera. Sie fraß nichts
und verstarb am 10. dieses Monats. Die Liebe zu Vera auch? Ich habe
Sehnsucht nach ihr. 15 Uhr 15, Vera ruft wieder an, nachdem sie sich
seit 14 Tagen nicht gemeldet hat. Es wurde ein schönes Wochenende.
Ich renovierte ihr das Badezimmer, das Vorzimmer und die Küche,
nachdem fragte Sie mich: "was tust Du überhaupt für mich?"
Ein schöner Streit in einem Jazz-Keller beendete diese Folter.
Meine Mutter ist jetzt zweiundachzig Jahre. Oft gehe ich mit ihr in
Baden zum Heurigen, leider ißt sie kaum noch etwas, und das schon
seit Jahren. zwei, drei Achterln Wein, Neuburger, scheinen ihre
Lebensgeister zu erhalten. Seit zwei Jahren hat sie einen
eigenartigen Tick: Sie fragt nicht nur mich, sondern auch
verschiedene Leute, auf der Straße oder beim Heurigen, wie spät es
ist.
1998-02-28:
Ein Stand voller Lichter auf der Messe "Bauen und Wohnen".
Eines dieser Lichter fing an, sich zu verändern, zeigte Anzeichen
dafür, "Haben Sie am Abend schon was vor?"
"... ... ... ... mein Freund ... ... ".
1998-07-01:
Ich sitze da vor meinem PC und kann nicht machen, was ich will!
Warum nicht?
Widerspruch Taktik & Gefühl!!!!!
Scheiße!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Ich hasse Taktik bei Beziehungen !!!!!!
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Und ich habe niemanden, mit dem ich darüber reden kann!
Eigentlich möchte ich (ich weiß immer noch nicht, wie ich sie nennen
möchte (?))
Sie (=Isabella, = mein?, = wieso ich, = ich bin verrückt nach ihr, =
das wird mir weh tun,) jetzt anrufen, aber ich bin im Wiglwagl.
22 Uhr 46: Es läuft der Anrufbeantworter:
Ich sag Ihr, dass ich es schreibe!
Sie ist so süüüüüüß! Bin total verknallt!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Sie 29.
Ich 52. -
So zart.
Schreiend nach Leben.
Natürlich könnt ich sie verzaubern, will ich das?
Soll ich die Dinge, die mich befremden auch schreiben?
ZB., dass sie mit ihren Eltern auf Urlaub fährt?!????????
Am liebsten hätte sie mir, als ich das erste mal in ihrer Wohnung war,
alle ihre Platten gleichzeitig vorgespielt.
Irgendwann Kettenregal montiert.
Isabella will in Karenz.
Mutter kommt ins Helenenheim.
1998-07-15:
Fahre mit Isabella gegen 16 Uhr nach Berlin: In Regensburg regnets,
aber nur dort. Kein Stau. Kurz vor 2 Uhr morgens in Berlin,
Dreilinden. Sind über die Schloßstraße zum Europazenter gefahren,
einmal um die Kirche, Eierschale und Hoppegarten Sperrstunde.
1998-10-18:
Sonntag, ende einer Romanze, ohne Streit. Mir geht’s dreckig!
Die Menschen wollen nichts von mir.
"Lieb’ mich, schlag’ mich, beiß’ mich, - mach nur irgendwas mit mir!
Bitte!"
Am 11.11.
lernte ich bei einer Eröffnung des Lokales Clam in der Innenstadt
drei liebe Frauen kennen. Die eine, Elisa, eine Freundin vom
Mauerblümchen, gefiel mir so gut, sie hatte ein so feines Gesicht,
leuchtende Augen, einen sinlich-fröhlichen Mund, das mir nichts
anderes übrig blieb, sie anzusprechen. Sie stand mit einer anderen
lieben kleinen zarten Frau an einem Tisch und unterhielt sich. Die
Unterhaltung wurde gut, ich war fasziniert. Sie wohnt im 22. Bezirk
und versprach, mich anzurufen. Hoffentlich tut sie es.
Später lernte ich noch Sylvia kennen, die nur zufällig ins Lokal kam
und sich gerade von ihrem Liebsten getrennt hat. Alter Adel. Sie
versprach auch mich anzurufen, fiel mir in ihrem Rausch um den Hals
und wiederholte laufend, wie lieb sie mich hat. Heute ist der
14. 11. und ich bin neugierig.
Habe Sylvia einmal getroffen, ist mir zu gespritzt, besucht ständig
die Sieveringer Sauna. Etc.
Im Clam Mauerblümchen getroffen, findet keinen lieben Mann, dabei ist
sie so eine liebe Frau.
Die Männer san auch nicht ganz dicht. Elisa ist am Kontakt zu mir
gehindert.
Inzwischen ist es der 1.12., mein Liebchen kam zu mir mit einem
Frühstück! Sie war sehr lieb, will immer noch keine Enge
(= Beziehung). Na gut, solange sie so lieb zu mir ist... Am Samstag
fliegt sie mit ihrem Yoga-Lehrer nach Thailand für 10 Tage. Habe
Muskelkater vom Schnackseln.
Abgefackelt wär ich fast, nachdem es so kalt war in den letzten Tagen,
wollte ich den ölofen aktivieren, ich füllte den leeren Tank.
Gemütlich warm. Vor dem Schlafengehen drehte ich den Ofen ab.
Am nächsten Morgen roch es merkwürdig nach öl. Die Wanne hatte einen
ölfilm, aber nirgends tropfte es. Vielleicht die Dichtung? Zange. Die
Mutter saß so fest, dass ich sie mit meinen Mitteln nicht aufbrachte,
ohne irgendetwas zu beschädigen. Und plötzlich ronn es, der öltank
hatte ein Loch und war fast voll. Es wurde eine gröbere Aktion, das
öl aus dem Tank zu bekommen und den kaputten ölofen aus der Wohnung.
Seitdem kann ich nicht mehr heizen. Zur gleichen Zeit brannte das neu
eröffnete Lokal Clam ab, Kabelbrannt hieß es.
Mein Liebchen ist wieder aus Thailand zurück und verwöhnte mich
gleich in der Früh mit einem lieben Frühstück. So gute Schokolade
brachte sie mit, ein liebes Würfelspiel, drei Flaschen
Grapefruit-Saft und eine schöne Koralle.
Mein Töchterlein mag heute mit einem Typen zu mir schnackseln kommen
"Uns wird schon warm werden", sagte sie am Telefon. Außerdem weinte
sie sich über die Ungerechtigkeiten ihres Stiefvaters aus. Sie ist
soo lieb!
27.12. Ich bin schon wieder total verknallt in mein Liebchen! Sie
erzählte mir, dass sie mit Frau Sissi Vogel, das ist die Ex vom
Ehemann meiner Ex, in der Sauna war.
Heute ist Sylvester und ich muss noch Vorbereitungen treffen, mein
Liebchen ist arm, sie wird auch schon um neun Uhr früh, wenn sie
ausschlafen könnte, von den Eltern telefonterrorisiert. Heute ist der
letzte Tag von 1998, ich bin gespannt. Mein Liebchen wird mich nicht
umbringen, oder doch?
Jetzt plötzlich plappern sie mir alles nach, erst gestern war eine
Sendung im Radio mit dem Inhalt, dass es keine Zeit gibt.
Es ist 16 Uhr 40 und plötzlich beginnt die silberne Uhr meiner Mutter
wieder an zu gehen, kurz nachdem ich sie anrief. Witzig! Die silberne
Uhr zeigt genau ein halbe Stund mehr!
Führe noch ein paar Telefonate, schließlich will ich wieder nach
Berlin!
Mama, ist lieb!
Josi nicht da.
Mit Lotte telefoniert, sie hat Angst vor mir. ich soll sie anrufen,
sie ruft nie an!!!
Hufnagl, Telefonnummer suchen! Nicht gefunden.
31.12.1998:
Jetz geh ich zum Liebchen, 19 Uhr 46.
Mit ihr und ihrem südafrikanischen Freund Mark zum Stephansplatz.
Das Sylvester war nicht meins. Das war ein Scheißjahr!
zurück
1999
1.1.1999: 4,4,7 gewürfelt, Liebchen 2,2,9, sie will keine Beziehung,
sie glaubt immer noch nicht, dass ich nach Berlin gehe!
Nachdem ich dieses Jahr 1998 überlebt habe, werd ich jetzt wohl 98
Jahre alt, das ist das Jahr 2043.
Ich muss mich am 11.1.1999 beim Arbeitsamt in Berlin melden. Will ich
wirklich nach Berlin zurück?
Was soll ich tun???? Einfach schaun, was kommt?
3.1. Mit meinem Sohn telefoniert. Er ist im Moment beim Militär,
Wals-Siezenheim-Kaserne in Salzburg, ich soll ihn dort besuchen. Am
Dienstag, und übernacht bleiben. Die Zeit wird eng Samstag will ich
fahren. Am Abend im Anton Frank und im Artmayer.
4.1.
Mein Liebchen möchte nicht, dass ich nach Berlin gehe, was heißt das?
Ich muss mit ihr reden!
Scheißspiel!
Ich muss trommeln!
zurück
In Berlin
Seit 11.1.1999 bin ich in Berlin, für drei Monate. Das Arbeitsamt und
das EU-Abkommen haben es mir ermöglicht. Ich muss etwas mit der
Wohnung hier tun. Meine Mutter liegt in Baden im Altersheim und kann
sich kaum noch bewegen. Das Gewand meiner Mutter habe ich bereits der
Kirche geschenkt, die schickt es nach Russland. Es tat mir weh, den
Schrank zu räumen, Pelzjacken, Kostüme, Unterwäsche, alles hab ich
hergegeben. Es ist kalt, ich muss mit Kohlen heizen, glücklicherweise
gibt es noch einen kleinen Vorrat davon. Ich gehe viel zu Fuß,
versuche die Eindrücke meiner Jugend aufzufrischen, doch es hat
sich viel verändert.
Das Arbeitsamt ist nicht weit, die Angestellten sind sehr nett, viel
freundlicher, als meine Betreuung in Wien. Angeblich werde ich am
nächsten Ersten das Arbeitslosengeld mit der Post zugestellt bekommen,
ich bin gespannt. Und viele Wege habe ich erledigt, meine
Aufenthaltserlaubnis erneuert, einen neuen Führerschein beantragt -
man weiß ja nie - , und bei der Pensionsversicherung war ich, um
herauszubekommen, ob ich von meinen früheren Arbeitszeiten in Berlin
einen Pensionsanspruch habe, aber das dauert noch und ist nicht so
sicher. Mir fehlen ja noch eineinhalb Jahre, damit ich überhaupt
einen Mindestanspruch für eine Pension habe.
Für das Wechseln von 5000 Schilling wurde eine Gebühr von 32 Mark
eingehoben. Hundert Mark habe ich für eine Monatskarte der BVG
bezahlt. Zwei Postsparbücher meiner Mutter haben meine finanzielle
Lage etwas gemildert. Das Postamt wurde in den letzten drei Wochen
zweimal überfallen.
Auf das Konto meiner Mutter habe ich keinen Zugriff, erst wenn sie
gestorben ist. Von diesem Konto werden aber die Daueraufträge wie
Miete, Telefon etc. abgewickelt. Wie lange wird die Miete noch
bezahlt? Nachdem die Bank so unfreundlich ist, und mir nicht einmal
Informationen gibt, denke ich, daß sie draufzahlt, da meine Mutter
sicher einen überziehungsrahmen hat, ich werde die Schulden dann
sicher nicht abdecken!
Für 600 Mark habe ich einen Computer erstanden, so kann ich
wenigstens etwas arbeiten. Nachdem ich auch nur duschen kann, wenn
ich den Ofen im Badezimmer mit Kohlen anheize, das dauert ungefähr
zwei Stunden, habe ich mir angewöhnt, ins städtische Bad zu gehen.
Das kostet vier Mark.
Nachdem das Kochgeschirr meiner Mutter viel zu wünschen übrig lässt,
die Bratpfannen sind alle verbogen, was auf einem Elektroherd sehr
unökonomisch ist, habe ich auch eine Pfanne für 17 Mark erstanden,
ferner zwei größere Handtücher. Jetzt bin ich vierzehn Tage hier, und
ich träume jede Nacht sehr intensiv!
Viermal habe ich schon Post von meinem Liebchen aus Wien bekommen,
ich empfinde sie jedoch als sehr unpersönlich. Auf meinen neu
gekauften Anrufbeantworter war die erste Nachricht von ihr: "Ich
hab Dich lieb". Das hör ich mir immer wieder an. Hin und wieder ruft
sie an, dann ist sie sehr lieb. Sie versorgt meine Haustiere in Wien,
weiß noch nicht, ob sie mich in Berlin besuchen wird oder ob sie nach
Südafrika auf Urlaub fliegt. Ich schreib ihr jede Woche zweimal.
Zwei Freunde hab ich noch in Berlin, Norbert und Bruni.
Norbert kann kaum noch gehen, er hat sich zu einem Krüppel gearbeitet,
in einer Zigarettenfabrik, und, obwohl er weiß, was in den Zigaretten
alles drinnen ist, raucht er wie ein Schlot, er braucht ja dafür
nichts zu zahlen. Dafür hat er sich jedes Jahr einen neuen BMW
gekauft. Er hat mich nie in Wien besucht, heute wäre es wohl auch
nicht mehr möglich für ihn, auf mein Hochbett zu klettern. Und wenn
er redet, ist er kaum zu bremsen, mit wem sollte er sonst auch reden.
Mit seiner Nachbarin?
Am meisten bedauert er es, dass er keine Kinder hat, seine Eltern
sind tot und sein Bruder hat sich den goldenen Schuss gesetzt.
Von der Arbeit ist er so geschafft, dass er höchstens am Wochenende
Zeit für ein Treffen hat.
Er hat mich jedoch immer verwöhnt, wenn wir ausgegangen sind, immer
hat er meine Getränke bezahlt und mir billige Autos besorgt.
ähnlich geht es Bruni, sie arbeitet als Steuerberaterin, selbständig.
Zwei hübsche Kinder hat sie, die Tochter ist 26 und lernt ebenfalls
das Steuerrecht, ihr Sohn ist 15 und will Koch werden. Vorige Woche
habe ich einen schönen Spaziergang mit ihr durch den Grunewald
gemacht, von der Krumme Lanke bis zum Grunewaldturm. Sie hatte
Blasen an den Füßen, aber es hat ihr Spaß gemacht. Von dem Erbe Ihrer
Eltern möchte sie sich eine Eigentumswohnung in Steglitz kaufen, aber
davon redet sie schon seit Jahren. Auch sie hat mir immer geholfen,
mich zum Essen eingeladen, sie hat mir sogar ein Auto geschenkt. Oft
hab ich ihre Liebhaber vertrieben, wenn ich nach Berlin kam, an Honse
kann ich mich besonders erinnern, als ich bei ihr klingelte und er
die Tür öffnete, ging ich einfach nur hinein und sagte: "Du musst
jetzt leider geh’n!" Ich gab ihr den Tip, es vor der Jahrtausendwende
zu tun, denn ein möglicher Bankencrash steht bevor. In den
Nachrichten höre ich gerade, dass die Russen die Amis um Hilfe wegen
Ihrer Atomraketen bitten. Heute hat es acht Grad, morgen soll es
wieder kalt werden, darum werde ich jetzt spazieren gehen.
Ich bin durch die Riemeisterstraße geschlendert, ich liebe diese
Straße mit den großen alten Bäumen, die so eine Ruhe ausstrahlen,
außerdem gibt es so schöne Villen. Auch durch das Fischtal bin ich
gegangen, die eine Birke, auf der ich als Kind so gerne gesessen bin,
gibt es nicht mehr und der Teich ist leider verdreckt. Als ich durch
die Reiherbeize kam, in der ich auch einmal wohnte und auf der Straße
spielte, musste ich fesstellen, dass das heute nicht mehr möglich ist,
da sie total verparkt ist, "Ecke - Kante" hieß das eine Spiel, zwei
Spieler standen jeweils auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Einer warf einen Ball auf den gegenüberliegenden Rinnstein. Traf er
ihn nicht, kam der andere Spieler dran, traf er ihn, und der Ball kam
zurück, bekam man einen Punkt, sprang er zurück, ohne den Boden zu
berühren und man fing ihn, erhielt man fünf Punkte, fing man den Ball
nur mit der rechten Hand bekam man zehn Punkte, wurde er mit der
linken Hand gefangen sogar zwanzig. Kam der Ball zurück und berührte
dabei den eigenen Rinnstein, fing der Punktestand wieder bei Null an.
Ein Satz meines Kunstlehrers Depuis ist mir eingefallen, den er der
Klasse, bevor wir auf Klassenreise fuhren, wieder eingefallen: "Eine
Reise ohne Beischlaf, ist wie eine Oper ohne Musik".
Schließlich bin ich in der Rodelhütte gelandet, das ist ein kleines
Beisl, in dem ich schon als kleines Kind war, mit meiner Mutter, nach
dem Rodeln. Dort sind sehr liebe Typen, wir haben uns mit Skat und
einigen anderen ortseigenen Kartenspielen die Zeit vertrieben, das
tat gut. Sind das meine letzten drei Monate in Berlin?, diese
Gedanken schmerzen, ich hänge so sehr an Zehlendorf. Um zwei Uhr
morgens bin ich dann zu Fuß nach Hause gegangen, eine Stunde habe ich
gebraucht.
Es ist wieder kälter geworden. Im großen Zimmer, indem ich nicht
heize, hat es minus zwei Grad, im kleinen Zimmer, indem ich heize und
jetzt sitze hat es plus drei Grad. Meine Finger sind ganz klamm, so
dass es mir kaum möglich ist, zu schreiben. Darum werde ich jetzt
auch wieder in eine Kneipe gehen, in der es hoffentlich warm ist,
obwohl ich nur noch zwanzig Mark besitze. Ich hoffe, dass morgen
(1.2.99) ein Geld vom Arbeitsamt kommt, sonst wird’s sehr ungemütlich!
Sie haben mich auf dem Arbeitsamt natürlich vergessen, telefonisch ist
es nicht möglich zur entsprechenden Stelle durchzukommen. über
Umwege schaffe ich es endlich doch, ich renne hin und bekomme 1000 DM
Vorschuss. Na wenigstens etwas! Auf dem Weg dorthin schaute ich auf
ein Halteverbotsschild, ich schloss das linke Auge und sah das Schild
rund. Ich schloss das rechte Auge, und das Schild erschien noch
leicht elliptisch, da ich im linken Auge auf der Netzhaut eine
Blutung und eine Laserbehandlung hinter mir hatte. So dachte ich mir,
ich könnte das linke Auge vielleicht trainieren, indem ich solange
auf eine runde Scheibe schaue, bis mein Gehirn diese Fehlfunktion
ausgleicht. In diesem Moment finde ich eine Mark!
Am Abend habe ich die Biedermeier-Kommode meiner Mutter aufgeräumt
und dabei Briefe an mich gefunden, die waren so lieb und ich habe
geheult, wie ein Schlosshund. Habe ihr daraufhin gleich noch einen
Brief geschrieben.
Inzwischen bin ich einen Monat in Berlin. letzte Woche habe ich
angefangen, Zettel mit der Wohnung in Zehlendorf zu verteilen.
Anrufe kamen genug, aber niemand wollte eine Wohnung mit Ofenheizung
und viele wollten auch eine größere Wohnung. Jetzt habe ich neue
Zettel an Laternenmaste und Bäume angebracht, auf denen auch die
Größe der Wohnung (60 m2), der Mietpreis (500 DM) draufsteht,
außerdem dass die Wohnung eine Ofenheizung hat, Argument:
Survivel-Wohnung.
Gestern Abend hatte ich eine Vorstellung meiner Würfel im Café Anneliese.
50 Würfelsätze habe ich mir dafür aus Wien mit EMS schicken lassen,
das Paket hat über 500 öS gekostet, drei Würfelsätze habe
ich verkauft und zwei Bücher: Außer Spesen nichts gewesen!
Die Zettel mit dem Wohnungsangebot werden von den Bäumen gerissen.
Das schreit nach Rache, ich werde ein bißchen graue Magie machen
müssen!
Mit Bruni und Norbert bin ich essen gegangen. Bruni sieht schlecht
aus. Norbert war wieder nicht zu bremsen, er ließ niemanden zu Wort
kommen und erzählte immer das selbe, offensichtlich hat er niemanden,
mit dem er sonst reden kann, er tut mir leid. Bruni will ihn mit
einer hübschen Italienerin verkuppeln, sie verabreden eine Reise ans
Mittelmeer. Erst als wir gehen bemerkt Bruni, wie schlecht Norbert
gehen kann und meint, dass sie nicht mit Norbert zu Ihrer Freundin
fahren wird. Norbert war lieb, und hat mir eine CD mit einem
CAD-Programm mitgebracht.
Sebastian, der Inhaber der Zehlendorfer ölmühle, hat sich in die Angestellte
Sophie des Café Anneliese verliebt, sie in ihn noch mehr scheint es, sie
strahlt wenn sie ihn sieht, es macht Freude, die beiden zu beobachten, beide sind
sehr schöne Menschen. Er hat einen Untermieter für die Wohnung hier
und außerdem will er mal nach Wien und kann auch die Biedermeier-Kommode
mitnehmen. Ob’s wahr wird?
Gestern war ich im "Schwarzen Adler". Mit dieser Kneipe verbinde ich
eine besondere Erinnerung. Vor vielen Jahren, als ich noch in Wien
studierte und nur zu Weihnachten nach Berlin kam, war ich dort
Billard spielen. Dabei lernte ich einen Mann kennen, der mich
anschließend fragte, ob wir uns nicht am nächsten Tag wieder zu einer
Billard-Partie treffen könnten. Nein, sagte ich, denn ich fahre
morgen wieder nach Wien und komme erst nächstes Jahr wieder. Na, dann
treffen wir uns nächstes Jahr zum ersten Weihnachtsfeiertag wieder
hier, meinte er. Gut, einverstanden. So geschah es, fünf Jahre lang,
immer am ersten Weihnachtsfeiertag! Im sechsten Jahr war der
Schwarze Adler geschlossen. Das war ein tolles Erlebnis, dazu muss
ich sagen, dass, wenn ich mich in Wien beim Heurigen nur für die
nächste Woche verabredet habe, diese Verabredungen nie eingehalten
wurden. Ein 83-jähriger Ostpreusse saß an meinem Tisch, 54 Jahre
war er glücklich verheiratet, vor vier Wochen ist seine Frau an
Krebs verschieden. Er weinte. Eineinhalb Jahre dauerte ihr sterben.
Und dabei meinte sie noch, dass sie immer glaubte, ihn einmal zu
pflegen, da er schwer kriegsversehrt ist, er hat ein Holzbein und
sein Arm ist auch durchlöchert. Es war eine gute Unterhaltung. Ein
lieber Mann!
Gestern abend war ich an der Krumme Lanke. Ich bin durchs Fenn
gegangen, man kann jetzt wieder durchgehen, denn der Zufluss wurde
zugeschüttet. Wildschweinspuren überall. Eine Buche am Anfang habe
ich markiert.
An der alten Badestelle habe ich die Dunkelheit abgewartet. In der
Mitte des Sees war noch eine dünne Eisschicht. Es wurde ruhig, nur
die Enten schnatterten noch, und ein Bläshahn verfolgte ein Weibchen,
welches sich durch tauchen zu entziehen suchte. Die Autos auf der
Avus waren deutlich zu hören, mir kamen sie lauter als früher vor.
Ein Hubschrauber zerriss die Ruhe. Das Licht am Brunnen des
Wasserwerkes leuchtete kalt und ein ganz feiner Nieselregen kam auf.
Die Schwermut ergriff mich und ließen ein paar Tränen rinnen. Die
Erinnerung an meine Jugend. Ich wartete auf ein Geräusch, ein
Geräusch, das ich schon als Kind liebte, ein Geräusch aus der Ferne,
ein Geräusch, das in mir Fernweh erzeugte, das Geräusch war das
Rattern eines Zuges in der Ferne. Doch es kam nicht! So ging ich im
stockdunklen Wald zur Rodelhütte und ließ noch mal meinen Pfiff
erschallen, mit dem ich früher immer den Norbert gerufen habe. Es
antwortete niemand.
Es ist Samstag, 1 Uhr 50, in 5 Minuten fahre ich nach Hamburg zur
Stegerin. Ich hatte zwar eine Zugkarte gekauft, 35 DM mit
Bummelzügen, doch ein Trödler, der zuvor einige Sachen meiner Mutter
erstanden hatte, einen Globus, ein paar Schalen und Bilderrahmen,
Vasen und Porzellanfiguren für 200 DM, fährt mit dem Auto nach
Hamburg und will mich mitnehmen, so brauche ich nur zwei Stunden,
statt sechs.
Heute ist Montag, und das Wochenende in Hamburg war herrlich. Ich
werde meine Verwandten suchen, mein Oper war Hamburger: Friedrich
Winkelmann, Eisenbahner, geboren am 13.3.1895 in Glubenstein.
Wolfi, Stegerins Mann, hätte schon in Hamburg sein sollen, doch er
bekam keinen Platz im Flugzeug. Ich kam um fünf Uhr früh an, doch an
Schlaf war nicht zu denken, da die Stegerin entweder mit Wolfi oder
mit dem Flughafen Friedrichshafen telefonierte. Es war wenigstens
warm. Ein Videofilm lag im Regal: ödipussi von Loriot, da geht es
auch um einen Winkelmann. Witzig!
Wolfi kam dann gegen 15 Uhr und wir spazierten ein bißchen durch die
Stadt. Auf der Reeperbahn lockte uns ein Türsteher mit folgenden
Worten: "Kommt doch hinein, dann habt ihr es hinter Euch!" Das hat
mir gefallen.
In einem Sexshop in der Lederabteilung kommt ein junger Schicki-Micki,
verlangt nach dem Geschäftsführer und sagt, dass er heute auf eine
SM-Party geht und dafür eine entsprechende Kleidung braucht.
Abends sind wir ins Tivoli gegangen, "Fifty, Fifty" haben sie
gespielt, ich habe Tränen gelacht! Am Sonntag stand eine
Hafenrundfahrt bei schönem Wetter auf dem Programm. Dann trafen wir
noch einen ehemaligen Arbeitskollegen und um 18 Uhr 30 setze ich mich
in den Zug und fuhr zurück nach Berlin, sechs Stunden.
Heute am Montag geht es mir gar nicht so gut, da sich mein Liebchen
noch nicht gemeldet hat, sie wollte doch nur eine Woche in Südafrika
bleiben, hätte also letzten Donnerstag wieder in Wien sein müssen.
Mein Traum vom 23. 2. fällt mir immer wieder ein. Keine Post, kein
Anruf. Warum?
Ich fragte meine Würfel, die meinten, dass es einen anderen gibt, ich
will es nicht glauben!
Der 28.2. ist unser Jahrestag.
Ein Abendspaziergang durch den Wald tat gut. Die alte Eiche, an der
sich mal ein Mann aufhängte, liegt immer noch, zum Teil verrottet, an
ihrem Platz. Wildschweinrotten mit ihren Frischlingen rannten an mir
vorbei. Eine kleine Eibe, die ich im Fenn entdeckte, werde ich nach
Wien entführen!
Es ist Donnerstag, und ich habe immer noch keine Nachricht vom
Liebchen!
Heute gibt es ein Klangschalenabend im Café Anneliese.
18 Uhr, das Telefon klingelt, mein Liebchen ist dran, sie hat sich
verliebt, erzählt sie freudestrahlend.
Hab ich’s doch gewußt!
4.3: Ich sitze im Café Anneliese und mir laufen die Tränen herunter.
Nach meinem Traum hab ich gewürfelt, ich habe die Würfel befragt, ob
mein Liebchen mich liebt, die Würfel sagten nein, ich wollte es nicht glauben
und würfelte wieder, im Wald, im Wasser der Krummen Lanke, im Fenn, die Würfel
sagten nein, ich wollte es nicht glauben. Ich fragte die Würfel, ob sie mit
einem anderen Mann geschlafen hat, die Würfel sagten ja, ich wollte es nicht
glauben und würfelte nochmals, die Würfel sagten ja, ich wollte es nicht
glauben......ich wollte es nicht glauben. Ich war ihr treu.
Ich hoffe, ich werde jetzt das Angebot von Corinna annehmen, sie hat
mir eine SM-Nacht angeboten, ich werde sie anrufen, das brauch ich
jetzt, das will ich jetzt! Ich denke, ich werde keiner Frau mehr treu
sein, wozu auch, das machen, was im Moment Spaß macht, scheiß auf die
anderen!
Ein Jahr Isabella, ein Jahr kein Streit, aber auch keine Nähe, kein verführt
werden. Nach dem dritten Glas Wein geht’s mir schon viel besser! Jetzt geh
ich in den Lindenpark, vielleicht treffe ich Corinna. Jetzt geht’s mir gut.
Sophie und Sebastian kommen ins Café. Ich freu’ mich, sie zu sehen.
Naja, so brauch ich nicht mehr auf Post warten. "Aus den Augen, aus
dem Sinn, das ist doch nur bis 30 drinn", Isabella wird erst in einem
Monat 30, sie hat am gleichen Tag Geburtstag, wie meine Tochter.
Heute, Freitag, werde ich mit Norbert ein Eisbein essen gehen.
Nachdem ich das Riemeister Fenn seit 30 Jahren fotografiere werde ich
jetzt ins Rathaus gehen, um eine Ausstellung zu organisieren.
Norbert hat schon wieder alles bezahlt. Beim Nachhausegehen ist er
hingestürzt, ich wollte ihn aufheben, aber er war mir zu schwer.
Irgend ein Nervenleiden hat er auch, der arme Kerl. Und eine
Spiele-CD für meinen PC hat er mir auch mitgebracht. Ich habe dann
bei ihm geschlafen, und am Samstag hat er dann noch für mich gekocht,
er ist wirklich lieb.
Heute, Montag, 8.3., habe ich noch eine Karte von meinem Liebchen aus
Südafrika bekommen, mit einem Herzen darauf und einem Poststempel vom
2.3. Das versteh ich nicht! Wann hat sie sich verliebt? Vor dem
2.3.?, dann ist die Karte ein Hohn! Danach?
Eine Woche voller innerer Unruhe, keine Post mehr, auch kein Anruf.
Am Donnerstag hatte Norbert Geburtstag, ich hab ihm eine Eibe für
seinen Balkon geschenkt. Wir haben uns besoffen. Mir geht’s schlecht.
Eben hat es geklingelt. Ein bekanntes Ehepaar meiner Mutter kam und
erkundigte sich nach ihr. Ich gab ihnen die Telefonnummer meiner
Mutter. Heute ist es schön, ich muss raus, mir fällt das Dach auf den
Kopf, ich fühl mich elend!
Heute habe ich Zettel ausgehängt, ich mache einen Flohmarkt in der
Wohnung. Es ist Dienstag. Ges-tern kam eine Frau Bertram vorbei, sie
hat Wickel mit ihrem Alten und sucht eine Wohnung. Für die Möbel
möchte ich 1500.- DM. Das Geld will sie sich von ihrer Mutter holen,
die in der Schweiz lebt. Das wird wohl auch nicht klappen. Frau
Bertram ist so arm, dass sie sich nichteinmal eine Fahrkarte für den
Bus kaufen kann. Morgen verkaufe ich diesen PC für 750.- DM, dann
schau ich, ob ich einen Laptop kriege. Es ist jetzt 23 Uhr und eben
habe ich einen lieben Anruf aus Wien bekommen, von Nicole Görzel, ich
habe sie vor drei Jahren in New York kennengelernt und vor zwei
Jahren mit einem Be-kannten von mir verkuppelt, sie hat jetzt auch
Zorres mit ihrem Liebsten. Jetzt spiel ich noch ein bisschen Skat mit
meinem PC.
Den PC habe ich nicht verkauft, die Dame, die ihn kaufen wollte, ist
sehr kompliziert, Polizistin, die Tastatur ist zu schwer zu bedienen!!!
Gestern war Neumond und ich habe mir meine Eibe aus dem Fenn geholt,
das wird mein Hexenbaum auf meiner Wiese! Außerdem habe ich meine
Tochter in Wien angerufen, vielleicht holt sie mich ab hier.
Jetzt hab ich Post aus Wien bekommen, von meinem Liebchen, das heißt,
von meinem Exliebchen. Sie hat mir meine Post geschickt, ohne
Kommentar, nicht eine einzige Zeile! Das tut weh.
Jetzt habe ich eine Annonce in der ’Zweiten Hand’ aufgegeben:
Wohnungsauflösung .... Schon um sieben Uhr in der Früh klingelte das
Telefon. Ein Türke kam gleich vorbei, sammelte Fotoalben, Bilder,
Kaffe-Geschirr und ein paar Vasen ein. Hundert Mark. Dabei musste ich
hinterher feststellen, dass er mir ein Bild geklaut hat, ein kleines
liebes ölbild, ’Der Eremit’. Bin sauer, denn das wollte ich behalten.
Sonst war er sehr nett, hat er mich doch mit dem Auto noch bis zum
Kurfürsten Damm mitgenommen, hatte ich doch endlich den ersehnten
Anruf vom Führerscheinbüro erhalten, mein neuer Führerschein ist
endlich da. Kochstraße. Es ist ein schöner Führerschein,
Scheckkartenformat. Sehr lustige Ausstellungsdaten stehen drauf:
A1 6.9.63, BE 11.11.64.
Neben dem Polizeirevier ist gleich das Haus am Checkpoint Charly, ein
Museum des Mauerproblems, Fluchtautos, Tunnelgrabungen, Fluggefährte,
Bilder. Diesem Museum habe ich einmal ein ölbild geschenkt:
’Die Grenze’. Das Bild habe ich mit 18 gemalt, eins meiner
Lieblingsbilder. Das wollte ich noch einmal sehen. Ich schummelte
mich hinein, wozu sollte ich auch Eintritt zahlen, aber ich fand es
nirgends. Ich war traurig. Der Kunstreferent war nicht da, so ruf ich
am Montag an. Der Ullstein-Verlag ist auch gleich ums Eck, so habe
ich dort gleich noch ein Manuskript dieses Buches hinterlassen.
Als ich zurück kam, läutete gleich wieder das Telefon, der nächste
Trödler erschien, ein Araber, kaufte einen lieben Hocker, ein
Tischchen, Petroleum-Lampe und den Küchentisch. 104 DM, der war sauer,
das schon jemand vor ihm da war. Um 20 Uhr kam dann noch einer, der
kramte auch noch in den Küchenschränken, fand noch eine schöne
geschliffene Glasvase, hat sich auch geärgert, dass er nicht der
erste war, nahm die restlichen Bücher, eine Blechdose und ein
Porzellangefäß für Mehl mit. 10 Mark, das sind zwei Bier. Ich
erzählte ihm vom Bilderklau und nach der Beschreibung gab er mir die
Telefonnummer eines Typen. Außerdem fragte er sehr detailliert, was
die anderen gekauft haben. Es dürften ziemlich viel Intrigen unter
den Trödlern vorkommen. Für die Biedermeierkommode hat er mir
500 Mark geboten, der spinnt. Aber einen dicken Benz fahren! Eine
liebe Türkin kam dann noch, sie wollte die Wohnung haben. Na gut,
werd’ ich am Montag die Wohnungsgesellschaft anrufen.
Später traf ich dann noch Norbert in seiner Stammkneipe. Er hat mir
neun Messingscheiben für ein Spiel drehen lassen, darüber habe ich
mich sehr gefreut. Er ist ein lieber Kerl.
Heute will jemand um 11 Uhr vorbei kommen und den PC erstehen, darum
schreib ich schnell noch was. Und morgen mache ich einen Flohmarkt in
der Wohnung, ich muß die Möbel wegbringen! Der PC-Käufer kam
natürlich nicht! Briefe meiner Mutter die ich noch fand, haben mich
deprimiert. Alle Rosen, die ich ihr schenkte, hat sie aufgehoben,
jeder Rechnungszettel vom Heurigen mit mir war datiert. Eine
Zeitungszettelsammlung von Trödlern, die Wohnungsräumungen machen war
auch vorhanden. Ein Foto von Omas und Uromas Grab hab ich gefunden.
Die Oma war eine geborene Kurz, die Uroma eine geborene Kempfer. Das
ganze ist nicht erfreulich.
Gegen neun Uhr kam ein Anruf einer Dame, die sich nach den
Bücherregalen erkundigte. Ich lockte sie in meine Wohnung mit dem
Argument, dass die Regale ja morgen schon weg sein könnten. Sie heißt
Sylvia und sitzt im Moment auf meinem Ofen. Ich habe sie nach Wien
eingeladen, und es scheint, dass sie dem nicht abgeneigt ist, und sie
wendete noch ein, dass wir uns ja erst kennenlernen sollten. Darum
will sie mich zum Frühstück einladen. Im übrigen finde ich sie ganz
süß.
Und jetzt schreibt sie:
Die Situation ist ja schon witzig - vorhin als ich den unbekannten
Mann anrief wegen der Bücherregale und sogleich mein Kommen zusagte,
hatte ich Angst vor meiner eigenen Courage. Ja, und nun sitze ich
hier am PC - meine Angst ist geschwunden und dieser Unbekannte vor
dem ich mich noch fürchtete ist mir doch jetzt schon sehr vertraut
und sympathisch. Winkelmann ist sein Name ohne Vorname...
Ist er ein Schamane, ein Zauberer, ein Allroundkünstler, ein
männlicher Kassandra, ein großer Junge, der, wie einst Erich Kästner
schrieb, sein eigenes Kind noch leben läßt. In einer Welt, in der
Kinder nicht mehr Kind sein dürfen.
Die Würfel sind gefallen - ein-, zwei-, drei-, viermal und jedesmal
war das Ergebnis erschreckend: Ein dumpfes N e i n lautete die
Antwort zu all meinen Fragen - es waren seine silbernen eigens von
ihm geweihten Würfel, die jetzt mein Schicksal bestimmen sollten.
Weder Zeit noch Zufall existieren - das Leben ist ABSICHT, also war
der Wurf der Würfel nichtig - denn ich selbst bestimme mein
Schicksal - und so werde ich die Einladung des Zauberers annehmen
und nach Wien fahren ...
Es ist jetzt Frühlingsbeginn, 1 Uhr 14 in der Früh und ich gehe jetzt
schlafen. Vorher muss ich diesen Schrieb noch auf Diskette speichern,
vielleicht kommt ja doch jemand und kauft den PC. Eben hat Sylvia
noch angerufen! Lieb.
Sonntag, 21.3. 99, der Flohmarkt-Tag, 10 Uhr 30. Ich habe gerade mit
meiner Exfrau telefoniert, da sie meiner Tochter verboten hat, nach
Berlin zu kommen, da sie so schlecht in der Schule ist. Mit Günter,
ihrem neuen Mann, habe ich auch gesprochen. Der versprach mir für den
Transport der Kommode und der Truhe 5000 .-öS. Das muntert mich
wieder ein bißchen auf! Und eben kam noch ein Anruf, der PC-Käufer
will kommen. Er kam. Aber 1,2 Gigabyte waren ihm zu wenig, ob wohl
er ihn nur als Schreibmaschine benutzen will, so hab ich ihn immer
noch.
Eine Dame kam und war von einem sechseckigem Kästchen ganz begeistert,
sie wollte schauen, ob sie es tragen könne, dabei machte sie es
gleich kaputt. Ich klebte es notdürftig und für 50 DM nahm sie es
dann mit. Eine bildhübsche Polin kam auch noch, sie kaufte ein
bisschen Küchenkrimskrams für 17 DM. Mehr konnte ich nicht verkaufen.
Jetzt ist es 21 Uhr und ich gehe noch zur Sylvia.
Heute am Montag habe ich die Hausverwaltung angerufen. Didar Dündar
will die Wohnung übernehmen. Sie kommt jetzt vorbei und wir setzen
die entsprechenden Schreiben auf.
Dienstag ist heute, Didar kam in der Früh mit einem Frühstück und wir
fuhren zur Hausverwaltung. Gillweg 3. Ich hatte eines der skurrilsten
Erlebnisse, an die ich denken kann: Wir fuhren nach Halensee und
fanden nicht gleich den Gillweg, schon das Straßenschild, aber keine
Straße. Weite vorne stieg gerade eine Frau in Ihren Benz, ich sagte
zu Didar: "Fahr vor, und frag die Frau dort". Didar machte das.
"Ich kenne mich nicht aus hier", war die Antwort, "Ich komme aus
Hermsdorf." Nachdem ich in Hermsdorf nur einen Menschen kannte, ich
war damals 13 Jahre alt und hatte das Mädchen in einem Bus
kennengelernt, der Ferienkinder von österreich nach Berlin
transportierte, und dabei bin ich meinen ersten Kuss losgeworden,
fragte ich sie ganz spontan: "Bist Du Rita Felsch?" Sie war es! Ich
erzählte ihr noch, dass ich einmal von Zehlendorf nach Hermsdorf mit
dem Fahrrad fuhr, wofür ich vier Stunden brauchte, aber sie nicht zu
Hause war. Ich gab ihr meine Visitenkarte und sie mir ihre
Telefonnummer: 404 14 59.
Eben rief mich Herr Schiller, der Kunstreferent vom Haus am
Checkpoint Charly an. Er will vielleicht weitere Bilder von mir ins
Internet stellen. Treffen Montag.
Heute ist Freitag, es will eine Frau kommen, um den PC zu kaufen!
Gestern wollte ich eigentlich ins ’Siphon’, eine liebe Kneipe, gehen,
um zu essen. Doch in Zehlendorf-Mitte war gerade eine Eröffnung eines
Einkaufszentrums, so kam ich zu einer Gratis-Mahlzeit.
Seit drei Tagen ist nun Krieg in Yugoslawien, in den Nachrichten wird
nur gelogen, keine Verluste der Natotruppen, das würde wohl die Moral
untergraben, die Amis hatten ja im Irak auch keine. Wie dumm und wie
schwach sind wir, dass wir uns so etwas gefallen lassen. Die
politiker reden so einen Schwach-sinn! Wer die Macht hat, hat recht.
Manchmal versteh ich die Baader-Meinhoff-Gruppe! Unsere Politiker
führen Kriege wegen Geld, dafür gehören sie eigentlich liquidiert
oder nur amputiert, damit sie für den Scheiß, den sie machen ein
wenig zum Nachdenken kommen. Dazu muss ich sagen, dass mein Sohn
gerade seinen Militärdienst absolviert.
Ich habe den bissigen Köter meines Nachbarn verschwinden lassen! Im
’Lindenpark’ quatscht mich so eine blöde Kuh an, und fragt mich, wie
alt ich sie schätze: "Du hast den Geist einer Siebzehnjährigen und
den Körper einer Siebzigjährigen!" Damit wurde ich sie los.
Jetzt ist es gleich 11 Uhr, ich bin gespannt, ob die PC-Käuferin
kommt. Sie kam nicht.
Heute, am 26.3., auf dem Weg durch Zehlendorf, Zettel aufhängend,
Wohnungsmobililiar anbietend, kam ich doch schließlich zur Krumme
Lanke. Ich hatte meinen Fotoapparat dabei, man weiß ja nie. Ich
fotografierte meine markierten Bäume. Am Wasserwerk entlang zum
Buchenhain. In der ehemaligen Schonung, die Bäumchen gingen mir mal
bis zum Knie, heute sind sie ca. 20 Meter hoch, lagen viele
geschlachtete Kiefern herum, die Bäumchen in der Schonung waren
damals auch viel zu dicht gepflanzt worden. Der Waldboden ist
angenehm zu begehen, der Schritt kaum zu hören. Zwanzig Meter vom Weg
entfernt entdeckte ich ein Liebespärchen, voll ’in action’, a tergo,
wie ein Kaninchen arbeitete er, noch halb bekleidet, während sie, mit
einem langen blonden Zopf nur kniend sich überhaupt nicht rührte.
Leidenschaft war nicht zu spüren. Da blieb mir nicht viel übrig, als
ein paar Fotos zu schießen. Wollt Ihr sie sehen? Das Klicken des
Auslösers war offensichtlich zu leise, um Aufmerksamkeit zu erregen,
so ging ich näher und trat auf einen trockenen Ast, so dass dieser
zerbrach. Der Blick zu mir, den auf ihn gerichteten Fotoapparat, ließ
sein Tun spontan unterbrechen. Er versteckte sich samt seiner Braut
hinter einem Baum, einer dicken Kiefer, und deckte sich mit irgend
etwas zu. "Lasst Euch nicht stören!", rief ich ihnen zu und ging
lächelnd weiter Richtung Buchenhain.
Am Strand der Krumme Lanke stand ein junges Liebespaar mit den Füßen
im Wasser. Man könnte ja baden gehen, sagte ich. Zwei Minuten später
kam ein junges Mädchen, um die 15 Jahre alt, zog sich aus und sprang
ins Wasser. Geschätzte Wassertemperatur 12 Grad.
Nach einem anschließenden Bier in der Rodelhütte fuhr ich nach Hause.
Ein Anruf kam und ein Trödler vom Prenzlauer Berg kam, nahm die
überfälligen Kerzenständer, den schmiedeeisernen Flurspiegel samt
Ablage und das hohe Bücherregal mit, 120 DM. Nachdem ich die Gegend
Prenzlauer Berg auch kennenlernen wollte, nahm er mich auf der
Rückfahrt zur Schönhauser Alle mit. Dort ging ich in die Rumpelkammer,
eine urberliner Kneipe. Ein Satz Würfel ging für zwei Bier weg und
einen blöden Witz habe ich auch gehört: "Was ist eine Thermosflasche
mit Hackepeter? - Eine Truckerfotze". Im übrigen hörte ich sehr oft
das typische Berliner "Ej". Um acht in der Früh bin ich erst nach
Hause gekommen, da ich in der U-Bahn eingeschlafen bin, und mit der
U2 in der Endstation Ruhleben gelandet bin, auf der Rückfahrt bin ich
wieder eingeschlafen und fuhr zu weit.
Heute ist Sonntag, der PC stellte freundlicherweise gleich auf
Sommerzeit um. Gestern war so schönes Wetter, dass es mich wieder zur
Krumme Lanke zog. Ich ging den Siebenendenweg entlang, dann durch das
kleine Wäldchen hinter dem Eschershauser Weg. Und auf einem Balkon
entdeckte ich ein Gesicht, das mir bekannt vorkam, ein alter
Jugendfreund. "Lutz Mackensy?" rief ich. Er stand auf. "Weißt Du,
wer ich bin?" "Nicht so genau." "Winkelmann" "Wie geht es Deiner
Mutter?", fragte er mich.
Er warf mir eine Visitenkarte vom Balkon. Ich habe ihn seit 38 Jahren nicht mehr
gesehen, oh ja doch, einmal im Fernsehn, er ist Schauspieler. Als ich weiter zum
Quermatenweg ging, hörte ich das Knistern der Kiefern, wenn sie treiben
Zwei PC-Interessenten kommen heute vorbei. Bin gespannt.
Eben klingelt es. Ein Plole mit Mutter kaufte fast alle Möbel für
500.-DM: Beide Rosshaarsessel, beide Regale, das ovale Tischchen, den
großen Tisch, das Telefontischchen, die schmiedeeiserne Garderobe,
den restlichen Kram, wie Vasen, Kerzenständer, Schalen und alle Lampen,
jetzt sitz ich im Dunkeln. 200.-DM hat er angezahlt, morgen will er
mit einem LKW kommen.
So, der PC wird geht jetzt auch weg, somit sind das die letzten Zeilen
darauf. Ein Trum weniger nach Wien zu schleppen. Tschüss lieber PC.
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