Die kalte Wärme
Die kalte Wärme der Besucher erzeugte Abscheu in ihr. Und
Verschlossenheit. Und sie wußte warum. In ihrem Mann breitete sich
Verachtung aus, Verachtung über diese unreflektierte übernahme von
Ansichten und Verhaltensmaßregeln, Kleidungskonventionen und
Kunstkritiken, und diese Verachtung übertrug sich auf diese
bürgerlichen Naturgesetzverleugner, deren starres Denken er durch
Zynismus und Spott, nachdem dialektische Ansprechversuche
fehlgeschlagen hatten, bekämpfen zu müssen glaubte. Und diese
Kulturbemäntelten empfanden es als Frechheit, ihre heile Welt
beschmutzt zu sehen, empörten sich über unverstandene äußerungen.
Konservative hemmen die Entwicklung, Spinner und Außenseiter
verändern das menschliche Dasein. Evolution hat nur durch
Andersartige stattgefunden. In evolutionsstrategischen
Optimierungsverfahren kann diese Erkenntnis wunderbar verifiziert
werden. Doch statt diese Erfahrung anzuerkennen, zu be-jahen, werden
Andersdenkende, Andersfühlende suspektiert, ausgestoßen, am liebsten
verleugnet. Man fürchtet Veränderungen!
"Was sagen Sie? Ein Krieg ist an und für sich nichts Schlechtes? Ist
es Ihnen gleich, wenn man Ihre Familie umbringt, tausende hungern und
zu Krüppeln geschossen werden, haben Sie überhaupt kein Mitgefühl für
andere, sind Sie überhaupt ein Mensch? Sie sind ja ein Nazi, sie
gehören eingesperrt, mit so jemandem kann man doch nicht diskutieren!",
- will sich abwenden. "Bitte, ich möchte es Ihnen nochmals erklären:
Ein Krieg ist wie jeder andere Begriff, wie alle Dinge, wertfrei!
Erst der Mensch ordnet ihnen Werte zu, bewertet seine Umgebung in
Bezug auf sein meintliches Wohlergehen. So gesehen sind ein Hund und
eine Ratte gleich viel wert, - oder ein 300ter Mercedes und ein
1200er VW". "Sie wollen also damit sagen, dass, wenn Sie die Wahl
hätten, Sie sich für einen VW entscheiden würden?!"
"Nein, ich habe damit nicht gesagt, dass ich die Dinge nicht bewerte,
aber die Entscheidung beruht auf einer persönlichen Bewertung und ist
nicht allgemein gültig. Und durch rücksichtslosen Egoismus geht nun
auch die Welt zugrunde, nach mir die Sinnflut!" - Unverständnis.
Abwendung.
Der Pudel, der durch's Zimmer springt, wird von seinem Frauchen
geliebkost und mit Salami gefüttert, ein kinderloses Ehepaar um die
dreizig.
"Warum wir keine Kinder haben? Aber wir haben doch Stupsi, da noch
Kinder, das wäre doch zuviel."
"Halten Sie sich den Hund zum Liebhaben?" "Ja, wir haben ihn schon
sehr lieb, er macht uns ja auch viel Freude, nur das Gassi-Geh'n ist
oft sehr lästig." Sie nimmt den Hund auf und krault ihn hinterm Ohr.
"Gelt, Stupsi, Du hast uns doch auch lieb ?!" "Haben Sie schon mal
einen Elefanten gesehen, der sich ein Krokodil zum Liebhaben hält?"
"Wie kommen Sie denn darauf?"
Am Buffet war folgendes Gespräch zu vernehmen:
"Also neulich war ich beim Begräbnis der armen Hanna, schrecklich, ja
und weißt Du, wen ich da sehe, die Hufnagel, diese falsche Gurken,
und was die für einen Hut aufhatte, aus rotem Filz mit grünen Rüschen,
geschmacklos sag' ich Dir, und die blauen Strümpfe dazu, nein, so
kann man doch nicht auf eine Beerdigung gehen. Und gegrüßt hat dieses
impertinente Weibsbild auch nicht, was bildet die sich eigentlich ein,
nur weil ihr Mann der Herr Ingeniör ist. Wenigstens beim Begräbnis
sollte man doch ein bißchen Anstand zeigen." "Hör mir nur mit dieser
eingebildeten Funzen auf, die treff i gestern auf der dreier Stiegen,
ihr Schoffeur holt sie zum Dinner ab, meinte sie. Und am Sonntag
fladerts die Kronenzeitung, zwanzig Groschen hat's einig'haut, aber
sonst die große Lady spielen! Dös Gfrast, dös elendiche." "Der
Eiaufstrich ist ganz excelent, probier den amoi."
"Warum ich arbeite? Alle Menschen müssen arbeiten, wovon soll man
denn sonst leben? Vom Stehlen vielleicht? Und so reich bin ich auch
nicht, dass ich..." "Aber es gibt doch Menschen, die sehr wenig Geld
haben und trotzdem leben ohne zu arbeiten, oder die nur gelegentlich
einer Beschäftigung nach-gehen." "Ah, die Sozialschmarotzer, diese
asozialen Elemente! Leben vom Staat, auf unsere Kosten, von unseren
Steuergeldern! Die Sandler und die Studenten, dieses arbeitsscheue
Gesindel, sollte man ins Arbeitslager schicken, treiben sich nur auf
Demonstrationen herum. Einer der nicht arbeitet, ist doch kein
vollwertiger Mensch, kein brauchbares Mitglied unserer Gesellschaft,
nicht wahr?"
Das muss so sein, weil es gut so ist.
"Haben Sie den Krimi gestern gesehen, wie die Frau da gevierteilt
wurde, das war unheimlich erregend." "Ja, diese Serie schau ich mir
immer an, die ist gut." "Und wie hat ihnen die Liebesszene gefallen?"
"Na entsetzlich, dass man soetwas zeigt, wenn da Kinder zuschauen..."
Mord statt Liebe im Fernsehn.
"Haben Sie den anschließenden Erotikthriller auch gesehen?" "Der
perverse Masochist, der sich hat fesseln und schlagen lassen, das hat
doch mit Liebe nichts zu tun". "Doch, die Liebe spielt hier den
Katalysator für die Harmonie zwischen Körper und Seele. Wenn ein
Mensch unter starken psychischen Schmerzen leidet, Schmerzen aber nur
körperlich versteht, so versucht er, seine Welt wieder in Ordnung zu
bringen, die Trennung wieder rückgängig zu machen, indem er sich
physische Schmerzen zufügt. "Nur körperliche Schmerzen sind Grund für
Schmerzen" er vergißt die seelischen Schmerzen, wenn er körperliche
spürt.
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