Martha, die Spinne

Sie war schon ganz schwach, der Wind hatte sie hierher getrieben. Seit Monaten schon versuchte sie, durch immer dichteres Netzwerk Beute zu machen. Doch der Platz war schlecht. Ständig riß der Wind ihr einige Fäden entzwei, herabfallendes Geäst zerstörte ganze Sektoren, Blätter trieben ins Netz. So wurde Martha ständig zu Ausbesserungsarbeiten gezwungen, ohne dass ihre Mühe durch ein in ihrer Falle zappelndes Insekt belohnt wurde. Das zehrte an ihren Kräften und deprimierte sie zugleich. Nichtsdestoweniger war Martha stolz auf ihr Netz, das sie nach jahrtausende alter Tradition geschaffen hatte. Nur die Symmetrie hat sie etwas abweichend der Norm gestaltet und die äußeren Fäden etwas straffer gezogen als allgemein üblich, aber das war durch die herrschenden Windbedingungen fast notwendig. Und wenn die ersten Sonnenstrahlen in der Früh das vom Tau benässte Netz wie ein Collier aus Diamanten erstrahlen ließen, weckten sie auch neue Hoffnung in Martha. Sie hätte sicher eine hohe Fangausbeute erzielt, läge der Ort ihres Wohnsitzes günstiger. An diesem Morgen befaßte sich Martha mit Reparaturarbeiten im unteren Bereich, ein schwerer Tannenzapfen hatte in der Nacht zuvor zwei der stärksten Verbindungsfäden durchtrennt, einige Randele-mente wurden ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen.
Ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit breitete sich an diesem nebelverhangenen Tag in ihr aus, es reifte immer mehr der Gedanke, ihre Energien hier nicht nutzlos zu vergeuden, sondern anderswo, an einem guten Platz, einen neuen Beginn zu wagen. Doch das musste reiflich überlegt werden, war sie doch schon so geschwächt, dass sie es sich selbst kaum noch zutraute. Der weite Weg, die Gefahren, die unterwegs lauern, - sind nicht schon alle guten Plätze belegt? So grübelte Martha vor sich hin, während sie ihre Arbeit immer mehr verlangsamte und schließlich ganz abbrach. Der Entschluß war gefaßt, es war wohl ihre letzte Chance, dem Hungertod zu entgehen. Sie hangelte sich zum nächsten Ast empor, als eine mächtige Erschütterung durchs Netz lief. Im Nu war Martha an der Stelle, an der sich eine riesige Hornisse verfangen hatte. Wild schlug sie mit den Flügeln um sich, mit ihren Zangen hatte sie schon dem Kopf nahe Fäden durchbissen.
Martha war ganz aufgeregt, würde ihr Netz halten? Zu nahe heranzugehen erschien ihr zu gefährlich, war sie doch nicht mehr im Vollbesitz ihrer Kräfte, der Stich der Hornisse wäre tödlich. Doch sie brauchte nur zu warten.
zurück